Das Dilemma der Theaterpädagogik: Kunst oder Sozialarbeit?

Das Dilemma der Theaterpädagogik: Kunst oder Sozialarbeit?

Schon seit einiger Zeit sammle ich Argumente und Sichtweisen, um ein Thema zu bearbeiten, das mich als Theaterpädagogin schon sehr lange interessiert. Wieviel Kunst ist in der Theaterpädagogik möglich, wieviel nötig, wieviel unabdingbar? Oder ist es grundsätzlich unrealistisch, in der theaterpädagogischen Arbeit von Kunst zu sprechen? Und ist der Focus auf den künstlerischen Aspekt überhaupt so wichtig?

Die Quellen sind z.T. schon älter, aber in der Recherche fällt mir auf, dass nichts wirklich Neues in der theaterpädagogischen Forschung auftaucht. Wenn ich mich da irren sollte, bitte ich um Nachricht. In der Zwischenzeit beziehe ich mich auf ca. 15 – 20 Jahre alte Publikationen und meine eigene Beobachtung. Los geht’s.

Pädagogik in der Theaterpädagogik

Rollenspiel

In der Schule oder in der sozialpädagogischen Arbeit wird das Theaterspiel oft zweckgebunden eingesetzt. Es geht darum, „individuelle soziale und politische Handlungs-, Verhaltens- Urteils-, Gestaltungsfähigkeiten und -bereitschaften zu entwickeln und auszubilden“ (Hoppe 2003:9). Hier sowie in Beratung und Weiterbildung wird seit den 1970er Jahren das sog. Rollenspiel genutzt, um die Realität nachzuspielen und Lösungen für Konflikte handlungsorientiert zu suchen. Dabei ist das Rollenspiel keine in sich geschlossene Methode, sondern es gibt viele unterschiedliche Ansätze und Techniken, die unter den Begriff gefasst sind.

Eine gute Zusammenfassung zum Rollenspiel gibt die Bundeszentrale für politische Bildung:

Das Rollenspiel ist eine Methode, bei der die Lebenswirklichkeit mit spielerischem Agieren verbunden wird. Alltagssituationen, Probleme oder Konflikte werden im Rollenspiel nachempfunden oder vorausschauend bearbeitet.

Ziel dieser Methode ist es, Einstellungen und Verhaltensweisen zu verdeutlichen und Ansatzpunkte für Veränderungen aufzuzeigen. Somit können Rollenspiele die Jugendlichen schulen, ihre soziale Umwelt wahrzunehmen und zu beobachten. Das Nachempfinden der Realität befähigt die Schülerinnen und Schüler, Konflikte darzustellen und zu analysieren. Darüber hinaus können sie eigene Verhaltensweisen bewusst erleben und neue Verhaltensweisen einüben.

Aus unterrichtspraktischer Sicht ist die Unterscheidung zwischen spontanem und angeleitetem Rollenspiel wichtig. (…)

Häufig wird von den Teilnehmenden dieses im Training eingesetzte Rollenspiel dem Theater zugerechnet. Dabei handelt es sich jedoch um völlig gegensätzliche Ansätze: Rollenspiel schafft Nähe zur Realität und Theater erzeugt Distanz zur Realität. (vgl. Funke 2004: 114f.)

Beim Rollenspiel geht es in erster Linie um das Nachspielen alltäglicher Realität zum Zweck der Analyse und lösungsorientierten Entwicklung. Mit dieser Methode werden vorher klar definierte, realitätsnahe Szenen nach- bzw. durchgespielt. Sie dient der Vorbereitunq auf kritische Situationen. Das Rollenspiel endet mit einer Analyse der entwickelten Lösungsansätze in einer anschließenden Feedback-Runde. Theater funktioniert völlig anders, deshalb hat „so manches Theaterprojekt im pädagogischen Kontext mit Theater“ wenig zu tun (Pickardt I).

Theater ist zunächst zweckfreies Tun, das im Lauf des Prozesses zu einer künstlerischen Gestaltung hin verdichtet wird. Das bedeutet, die Lösung wird im Schaffen gesucht. Beim Rollenspiel dagegen (z.B. zum Thema „Gewaltprävention“) sind die Lösungen schon festgelegt, sie bestimmen den ganzen Prozess, auf sie richtet sich die ganze Arbeit aus. Probleme sollen gelöst, nicht angeschaut bzw. offen gelassen werden. Außerdem sollen sie pädagogisch und nicht künstlerisch bearbeitet werden.

Schule und Theater

Funktion und Arbeitsweise von Schule und Theater sind fundamental verschieden.

Deshalb kann man den Schluss ziehen, dass der/die Lehrerin, die Pädagogin die Darstellenden dirigiert, sie ist Gestalterin von Schüler- Objekten, deren aktuelle Situation nicht akzeptiert wird, sondern verändert und verinnerlicht werden soll.

„Im Theater erlebt jeder seine eigene Geschichte, während die Pädagogik will, dass alle eine bestimmte Geschichte kapieren.“ (Hass 1990:14)

Die theaterpädagogische Arbeit wird am Prozess gemessen, nicht am Produkt: Theaterstücke werden nur selten aus der Sicht der Ästhetik betrachtet. Außerdem sind v.a. schulische Theaterprojekte oft vom prinzipiellen Unwillen der teilnehmenden SchülerInnen geprägt – schlechte Voraussetzungen für das freie, zweckfreie Spiel. Ganz abgesehen von der meist unzureichenden Ausstattung und Raumsituation.

Insbesondere in schulischen Kontexten wird Theaterarbeit im Sinne einer Interaktions- und Spielpädagogik benutzt, um als Übungsfeld Defizite der Gesellschaft – insbesondere in den Bereichen der Kommunikation und sozialer Kontakte – auszugleichen. Über den Einsatz des Rollenspiels als Medium sozialen Lernens werden Verhaltensregeln für die den einzelnen gegenüberstehende Umwelt spielerisch eingeübt, doch der zentrale Gegenstand des Faches Theaterpädagogik, das Theater mit seinen besonderen Kommunikationsstrukturen, außen vor gelassen. (Göhmann, a.a.O.)

Was ist eigentlich Theaterpädagogik?

Theaterpädagogik ist ein weites Feld und hat viele Bedeutungen. JedeR TheaterpädagogIn greift dabei i.d.R. nur einen Teilaspekt heraus.

Beruf Theaterpädagogin
Beruf Theaterpädagogin (© Berufenet 13673)
  • Die einen beziehen sich auf das Theater mit SchülerInnen, Schultheater, andere auf das Theaterspiel als Methode im Unterricht, Darstellendes Spiel oder „Drama education“.
  • In der Schauspiel-Ausbildung unterrichten DozentInnen die Schülerinnen und Schüler im szenischen Spiel und in der Rollenarbeit – auch das kann unter Theaterpädagogik fallen.
  • TheaterpädagogInnen am Theater haben oft die Aufgabe, SchülerInnen zum rechten Theaterbesuch zu motivieren und übernehmen oft die Spielleitung in den dem Theater angeschlossenen, meist halbprofessionellen Jugendclubs und -spielgruppen
  • Viele Theaterpädagogen und Theaterpädagoginnen arbeiten im Amateurtheater – ebenso im Senioren- und Freilichttheater – und führen erfolgreich Regie.
  • Ähnlich im Kinder- und Jugendtheater, in dem Aufgaben als Spielleiter, Schauspieler und Autor abgedeckt werden.
  • Die Beratung, oft von TheaterpädagogInnen geführt, wurden schon immer als der Theaterpädagogik zugehörig empfunden.
  • Wenn Freie Gruppen Kinder- und Jugendtheater machen, fällt auch ihre Arbeit unter den Begriff.

„Der Theaterpädagoge ist Schauspieler, Regisseur, Animator, Anreger, Berater, Lehrer, Spielleiter, Kursleiter, Organisator, Lektor, Dramaturg, Autor, Musiker, Choreograf, Bühnentechniker – kurz ein Allrounder.“ Theaterpädagogik umfasst also das „gesamte Wirkungsgebiet des animatorischen Theaterspiels und seiner Anwendungen in Schule, Freizeit, Berufs-, Amateur-, Kinder- und Jugendtheater und im soziokulturellen Bereich“ (Rellstab 2000:44).

Theaterpädagogik stellt eine „Schnittstelle zwischen Kunst und Pädagogik“ dar, die beide Teilbereiche „harmonisch miteinander zu verbinden“ versucht (Sack 2011: 13). Ich bezweifle aber, dass das grundsätzlich möglich ist.

Berufsbild

Zusammengefasst von der Seite des Deutschen Bühnenvereins:

Theaterpädagog:innen regen Menschen jeglichen Alters zum Theatermachen an und ermöglichen den aktiven Zugang zur Welt des Theaters. Am Theater vermitteln sie zwischen dem Theater und Bildungseinrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Jugendhäusern, Volkshochschulen, Begegnungsstätten oder Rehabilitationszentren.

Sie beraten und betreuen Lehrer:innen, Leiter:innen von Arbeits- oder Schultheatergruppen und unterstützen bei der Vor- und Nachbereitung von Theaterstücken im Klassenunterricht.

Darüber hinaus leiten Theaterpädagog:innen häufig auch eigene (z.B. Kinder- und Jugend-)Theatergruppen und betreuen die in vielen Theatern eingerichteten Theater-Jugendclubs. Sie arbeiten vorzugsweise mit jungen Menschen, aber auch für Erwachsene kann das Theaterspiel eine Möglichkeit sein, die eigene Persönlichkeit zu erweitern.

Auf der einen Seite bringen Theaterpädagog:innen also Theaterunerfahrenen das Theater näher, auf der anderen Seite nutzen sie das Theater als Mittel zum Zweck der Persönlichkeitsbildung. In beiden Fällen liegt das Hauptaugenmerk auf der Praxis. Innerhalb des Theaters wirken Theaterpädagog:innen zudem bei der Erstellung von inszenierungsbegleitenden Materialien mit oder arbeiten im Bereich der Publikumsbeobachtung und Zuschauerresonanz (https://berufe-am-theater.de/#s03)

Theater in der Theaterpädagogik

Anders sieht es aus, wenn sich die Theaterpädagogik weder auf den sozialen Zweck noch die Institution Theater bezieht. Ziel einer – ich nenne sie mal – theaterzentrierten Theaterpädagogik könnte es sein, „Amateure von der Vorstellung eines naturalistischen Theaterspiels weg(zu)führen, das von einer fernsehmedialen, nicht theatralen Wirklichkeit geprägt ist, und sie mit den vielfältigen Möglichkeiten und den Freiräumen künstlerischen Gestaltens vertraut (zu) machen“ (Hilliger 2006: 50). Der Begriff der Inszenierung beinhaltet auch, dass diese künstlerische Auseinandersetzung so weit und so intensiv betrieben wird, dass die Ergebnisse kommunizierbar sind. Theaterpädagogische Inszenierung meint also ein methodisch klares Heranführen einer Gruppe an theatrale Ausdrucksformen mit dem Ziel einer abschließenden Präsentation. (Hilliger)

Unterschiede

Allein schon durch die Tatsache, dass wir es im Theater mit einer Verfremdung, einer gemeinsamen Illusion mit gemeinsamen Regeln zu tun haben, erweitert diese das Wahrnehmungs- und Ausdrucksspektrum der Teilnehmenden – ohne dass es explizit dieser Aufgabenstellung bedarf.

Theater BAD
Theater Baden-Baden, Zuschauerraum

Hinter Theaterarbeit muss nämlich nicht automatisch ein pädagogischer Ansatz stehen. Im Gegenteil unterscheiden sich professionelle Inszenierungen von theaterpädagogischen Arbeiten hinsichtlich ihres theaterpraktischen Anspruches und ihrer Intention. „Während die professionelle Theaterarbeit sich auf theaterpraktische Kompetenzen wie theatrale Ausdrucks-, Gestaltungs-, Darstellungs-, Urteils-, oder Produktionsfähigkeit konzentriert, befasst sich die theaterpädagogische Arbeit mit der Vermittlung von Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnissen, die zur persönlichen, sozialen und politischen Handlungskompetenz der Spielenden beitragen“ (Hoppe 2011: 184).

Zwar hat Theater nicht selten eine therapeutische Wirkung – für die Spieler, und manchmal auch für die Zuschauer. Doch was beim Rollenspiel explizit erfahren werden soll, geschieht im Theater eher zufällig und nebenbei.

Ästhetische Bildung

Theaterzentrierte Theaterpädagogik ist keine pädagogische, sondern mehr eine ästhetische Wissensvermittlung.

„Im Leben wie in der Kunst sind uns für das, was wir tun, von den verschiedensten Seiten her Grenzen gesetzt: von der Natur und ihren Gesetzen, von unseren Sinnen wie von ihren Objekten, von den Mitmenschen und ihren Forderungen; von den Umständen unserer historischen Epoche, von unseren persönlichen Voraussetzungen und von der eigenen Lebenszeit. Künstlerisches Schaffen versucht, sich von solchen Schranken zu befreien; und zwar so, dass dabei gegenüber den gewöhnlichen Verhaltensweisen nicht nur eine Störung, sondern zugleich ein Gewinn erkennbar wird.“ (Fricke 2000: 13).

Theaterpädagogisches Ziel ist dabei die sachbezogene Hinführung zum Theater, d.h. die „Vermittlung und Ausbildung theaterproduktiver und -rezeptiver Kenntnisse und Kompetenzen“ (Hoppe 2011: 9). Der zentrale Gegenstand ist NICHT das soziale Lernen, sondern Theater dient der Konstruktion von Welt, indem eine theatrale Wirklichkeit erschaffen wird – keine soziale.

Obwohl Fischer-Lichte anmerken, dass seit den 1990er Jahren das „Pädagogische vom Ästhetischen nicht mehr zu trennen“ sei (Ficher-Lichte 2005: 348), steht doch in jeder theaterpädagogischen Arbeit die jeweilige Gewichtung von künstlerischen und „pädagogischen“, d.h. theaterfremden Zielen im Zentrum jeder Produktion. Legt die Spielleiterin mehr Wert auf den Prozess oder auf das Produkt?

Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass die Theaterpädagogen sich eine eigene künstlerische Haltung aneignen (vgl. auch Göhmann, a.a.O.). Dann kann die Vermittlung des Theaters als Kunstform, gar als Handwerk funktionieren, und dann ist Theater tatsächlich und ausschließlich der Gegenstand des Faches Theaterpädagogik.

Theatervermittlung

Der Begriff „Vermittlung“ in den Künsten ist relativ neu, hat sich aber in den Institutionen durchgesetzt: Die Museumspädagogik wurde zur Kunstvermittlung, die theaterpädagogischen Abteilungen an Stadt- und Staatstheatern werden zur Theatervermittlung und auch die Tanz-, Musik- und Konzertpädagogik wird vermehrt mit dem Zusatz der Vermittlung versehen.

Diese Entwicklung scheint Ausdruck einer Veränderung der konkreten Praxis von Vermittlerinnen und Vermittlern aus allen künstlerischen Disziplinen zu sein. Niemann (a.a.O.) bezieht diese auf die Haltung, „mit der wir diese Formate und Methoden ausführen“ und dem Selbstverständnis, „mit dem wir mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung für unsere Arbeit einfordern“.

In der Kunstvermittlung geht es um Wissen, das durch ein praktisches Tun erfahrbar wird. Dies bedeutet in dem Fall kein hierarchisches Weitergeben von lexikalischem Wissen, sondern eine kritische und dekonstruktivistische Praxis, welche nicht auf Einheit aus ist, sondern die Differenz in künstlerischen Prozessen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen anerkennt und betont. Vermittlung ist hier also kein nachgeschalteter Vorgang, der ausschließlich einem künstlerischen Original dienlich ist, sondern versteht sich selbst als eine künstlerische bzw. ästhetische Praxis.

Die Professorin für Theaterpädagogik Ute Pinkert hat dieses Vermittlungskonzept auf die Theaterpädagogik übertragen (Pinkert 2014). Und auch hier wird  die Vermittlung selbst zu einer ästhetischen Praxis, die sich mit dem Ursprung kreativ und differenziert auseinander setzt.

Theater ohne Pädagogik

Um einen neuen Blick auf „alte“ gesellschaftliche, soziale oder ästhetische Gegebenheiten auf der Bühne (wie auch immer die sich gestalten mag) zu entwickeln, braucht es den Mut, neue Perspektiven einzunehmen, das Herkömmliche zu bearbeiten und künstlerische Thesen konsequent weiterzuentwickeln. Theater schafft sich in der Distanz zur Realität, in der Verfremdung und Verdichtung – im Gegensatz zum Rollenspiel, das die Wirklichkeit schlicht abbildet. Das aber hat im Theater nichts zu suchen und wäre ein verlorener Abend.

Besonderheiten

Dazu nutzt das Theater bestimmte Zeichen und Regeln, um diese Wirklichkeit zu verändern – wobei auch dazu gehört, diese Regeln auch wieder zu dehnen oder gar zu brechen. Dazu hat es im besten Fall alle notwendige Ausstattung: Regie und schauspielerisches Können, Werkstätten, Material, die Profis vor, auf und hinter der Bühne.

Das „Problem“, das es zu lösen gilt, ist im Gegensatz zum Rollenspiel eine Situation, für die künstlerisch-ästhetischer Ausdruck gesucht wird. Der Regisseur/ die Regisseurin gestaltet in dem Fall Situationen – er und sie will sie nicht abschaffen. Pickardt (I) hat das schön beschrieben:

„Mit dem künstlerischen Blick dagegen betrachte ich das ‚Problem’ nicht als Problem, sondern als Situation, die ich mir bewusst mache und für die ich einen ästhetisch / künstlerischen Ausdruck suche. Ich will nicht verändern, sondern verdichten und gestalten. Beispiel: ein Konflikt zwischen zwei literarischen Figuren. Als Künstler schaue ich mir, ähnlich wie der Pädagoge, ihre Psychodynamik an. Weiterhin interessieren mich ihre Beziehungen zueinander. Wie ist ihre jeweilige Körperlichkeit? Ihre Haltungen? (…) Ich suche nicht eine Lösung, sondern Ausdruck und Formgebung. Oder anders ausgedrückt: die künstlerische Lösung ist keine psychologische, sondern eine ästhetische.“

Und die intensive, bewertungsfreie Beschäftigung mit den Dingen bringt oft auch psychologische Lösungen hervor. Es gibt einen Erkenntnisgewinn, ohne dass bewusst danach gesucht worden wäre.

Fazit

Die Frage war, wieviel Kunst in der Theaterpädagogik möglich bzw. überhaupt nötig ist.

Pädagogische Theaterpädagogik

Ich denke, es wurde deutlich, dass jede Theaterpädagogik mit dem Focus auf soziale Arbeit in Richtung auf Persönlichkeitstraining und Bearbeitung konfliktbeladener Situationen keinesfalls auf Kunst ausgelegt ist und auch keine künstlerische Verdichtung anstrebt. Diese theaterpädagogische Arbeit kann auch überall stattfinden, im Klassenzimmer, in Seminarräumen, ist also nicht auf eine Bühne beschränkt. Die Teilnehmenden nehmen keine Rolle ein oder sie deuten allenfalls eine Rolle an, wenn sie in der Gruppe eine Situation nachspielen. Diese Rolle müssen sie kaum verinnerlichen, denn sie dient zur Klärung und Lösung des gezeigten Sachverhalts. Deshalb ist diese Arbeit auch nicht zur Präsentation vor Publikum vorgesehen. Man kann sagen. Theater dient hier als Werkzeug für sozialpädagogische Ziele.

Theaterzentrierte Theaterpädagogik

Die Theaterpädagogik, die das Fach Theater ins Zentrum stellt, betreibt so etwas wie die Didaktik des Theaters. Es geht dabei in erster Linie um die Vermittlung von Theatertheorie und -praxis mit AmateurInnen. D.h. es wird viel Grundlagenarbeit durchgeführt, Übungen zu Körperwahrnehmung, Raum, Improvisation etc. Oft ist eine abschließende Präsentation vor Publikum angestrebt.

Hier aber muss der Schwerpunkt unbedingt auf der Konzeption des späteren Produkts liegen. Denn dieses ist unmittelbar abhängig von den äußeren Gegebenheiten (Ort, Teilnehmende, Ausstattung etc.), welche oftmals unzureichend oder wenig hilfreich für die Entwicklung einer Theaterproduktion sind. Deshalb erhalten die gedankliche Vorbereitung (Umgang mit dem Vorhandenen), Regie (Erstellung und Durchführung des Stückkonzepts) sowie Spielleitung (Anleitung der AmateurInnen zum authentischen, ausdrucksstarken Spiel) ein besonders großes Gewicht in dieser Form der theaterpädagogischen Arbeit.

Und mit diesen Faktoren entscheidet sich in meinen Augen auch die Frage nach der schöpferischen Qualität einer solchen Theaterproduktion. Gelingt es, über den persönlichen Darstellungswillen der Beteiligten und die Vorgabe des ausgewählten Stückes hinauszugehen und eine eigene, neue Sicht- und Darstellungsweise auf das Thema zu entwickeln? Erst dann könnte man von einer erfolgreichen theaterzentrierten Theaterpädagogik, einer „theaterpädagogischen Kunst“ sprechen.

Theater

Schauen wir uns nochmal an, was Theater eigentlich ist.

Zum Theater im Sinne von künstlerischer Praxis gehören nach Hans-Thies Lehmann1Autor des Bandes „Postdramatisches Theater“, Ffm. 1999 (1992) die Minimalelemente Spieler, Rolle, Zuschauer sowie die zeit-räumliche Einheit von Rollenspiel und Zuschauen2Ob das tatsächlich so ist, habe ich in meinem Beitrag „Der öffentliche Raum als Bühne“ hinterfragt.. Diese Kombination ermöglicht die spezifische Kommunikation des Theaters, die dieses von anderen Kunstformen trennt. Hinzu kommen in der Regel (doch nicht notwendig) eine breite Skala möglicher Theater-Zeichen: Stimme, Gestik, Mi­mik, Kostüm, Maske, Bewegungen beim Schauspieler, Raumgestal­tung, Lichteinsatz, Musik, Geräusche usw.

Theater ist eine Kunstform, bei der Geschichten, Ideen oder Emotionen durch die darstellenden Künste vermittelt werden. Es findet in der Regel vor einem Publikum statt und basiert auf Interaktion und unmittelbarer Präsenz.

Merkmale des Theaters:

  1. Darstellung: Theater verwendet SchauspielerInnen, um Charaktere darzustellen und eine Handlung zu erzählen.
  2. Live-Performance: Theaterstücke werden in Echtzeit aufgeführt, was jede Aufführung einzigartig macht.
  3. Bühne und Raum: Es gibt oft eine physische Bühne, auf der die Handlung stattfindet, aber der Raum kann auch unkonventionell sein.
  4. Text und Skript: Viele Theaterstücke basieren auf einem geschriebenen Text, dem sogenannten Skript oder Textbuch.
  5. Publikum: Die Interaktion zwischen Darstellenden und Publikum ist ein wesentlicher Bestandteil des Theaters.
  6. Multidisziplinarität: Theater kombiniert verschiedene Künste wie Literatur, Musik, Tanz und bildende Kunst.

Theater kann auch eine Plattform für gesellschaftliche, politische oder kulturelle Reflexion sein. Es kann Menschen Verbinden und lädt ein, sich mit der dargestellten Realität auseinanderzusetzen.

Theater als Kunstform kann aus dem gesamten Pool an Möglichkeiten schöpfen und ist nicht an die Beschränkungen gebunden, die ein zweckgebundenes Theaterspiel bzw. eine praktische Theaterpädagogik oft übermäßig einengen. Am ehesten können professionelle Theater mit professionellen MitarbeiterInnen einem Kunstanspruch gerecht werden – obwohl sie nicht die einzigen sind und obwohl das auch hier nicht immer gelingt. Aber:

Theaterkunst ist im besten Fall professionelles Theater.

Literatur

  • Fischer-Lichte, Erika/ Kolesch/,Doris/ Warstat, Matthias (Hg.), Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart 2005, S. 348-350
  • Fricke, Harald, Gesetz und Freiheit. Eine Philosophie der Kunst, München 2000
  • Funcke, Amelie/ Havermann-Feye, Training mit Theater, Bonn 2004, S. 114f.
  • Göhmann, Lutz, Zur Qualität der Theaterpädagogik in Deutschland, unter: http://www.proskenion.de/downloads/Goehmann_Vortraege_und_Aufsaetze/Zur_Qualitt_der_Theaterpdagogik.pdf [18.11.24]
  • Hass, Ulrike: Zum Verhältnis von Theater, Pädagogik und Theaterpädagogik, in: Schriftenreihe der ASSITEJ. Band 3. Theaterpädagogik
    und Dramaturgie im Kinder- und Jugendtheater. Ffm. 1990, S. 14
  • Hilliger, Dorothea, Theaterpädagogische Inszenierung. Beispiele – Reflexionen – Analysen, Milow 2006, S. 50 – 53
  • Hoppe, Hans, Theater und Pädagogik: Grundlagen, Kriterien, Modelle pädagogischer Theaterarbeit, Münster 2003, S. 9
  • Lehmann, Hans-Thies, Theater, in: Brauneck, Manfred/ Schneilin, Gérard, Theaterlexikon. Begriffe, Epochen, Bühnen und Ensembles, Reinbek 31992, S. 950 – 952
  • Niemann, Simon, Künstlerische Vermittlung. Ein Beitrag zur Begriffsklärung, unter: https://klangakt.ub.uni-muenchen.de/klangakt/article/view/64 [20.11.24]
  • Pickardt, Lutz (I), Kunst und Spiel versus Pädagogik, unter: https://lutz-pickardt.de/ kunst-und-spiel-versus-paedagogik/ [20.11.24]
  • Pickardt, Lutz (II), Namen sind Schall und Rauch. Oder? unter: https://lutz-pickardt.de/ theater-theaterpaedagogik-theatertherapie [20.11.24]
  • Pinkert, Ute, Theater und Vermittlung. Potentiale und Spannungsfelder einer Beziehung (2016), in: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/artikel/theater-vermittlung-potentiale-spannungsfelder-einer-beziehung [21.11.24]
  • Rellstab, Felix, Handbuch Theaterspielen, Band 4, Theaterpädagogik, CH-Wädenswill 2000, S. 42-46
  • Sack, Mira, Spielend denken: Theaterpädagogische Zugänge zu einer Dramaturgie des Probens, Bielefeld 2011
  • Weintz, Hürgen, Theaterpädagogik und Schauspielkunst. Ästhetische und psychosoziale Erfahrung durch Rollenarbeit, Milow 42008

Ein Gedanke zu „Das Dilemma der Theaterpädagogik: Kunst oder Sozialarbeit?

  1. Ein schöner und spannender Beitrag! Bezüglich älterer Literatur, könnte die Lingener Reihe ggf interessant sein, da erscheinen ja regelmäßig neue Bücher. Beim Punkt der pädagogischen Theaterpädagogik ist mir direkt die Arbeit von Augusto Boal eingefallen, welcher ja doch sehr wohl die Bearbeitung von Problemen mit Rollenspiel und einem Schauwert verbunden hat. Siehe Specactors etc. Kam mir so als möglicher Gedanke noch einmal. Danke für den Beitrag!

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