Die Magie der Dinge: Objekttheater
Das Theater mit alltäglichen, vorgefertigten Gegenständen ist eine ganz besondere, bewusste und wache Form des Theaters. Denn hier stehen nicht lebendige Menschen auf der Bühne, sondern diese geben einem unbelebtem Material die Impulse, um dessen Geschichte zu erzählen.
Die gelungene Belebung von Gegenständen hat etwas regelrecht Magisches, das schnell vergessen lässt, dass wir es eigentlich mit Staubsaugern, Teekannen, Zollstöcken, Handschuhen und Blechdosen zu tun haben. Diese Dinge bekommen einen Charakter, eine Rolle, eine Figur und agieren wie lebendige Wesen.
Hier beschreibe ich meine eigene Begegnung mit Objekttheater und beginne mit der Frage: Was ist das eigentlich?
Was ist Objekttheater?
Im weitesten Sinne können sogar Wasserfontänen in einem Springbrunnen oder das Enthüllen eines Denkmals als Objekttheater gelten! Man kann Objekttheater überall finden, und Je mehr wir darauf achten, natürliche und alltägliche Vorgänge unter diesem theatralem Aspekt zu betrachten, desto mehr davon werden uns ins Auge springen.
Ein Objekt kann sich normalerweise nicht von selbst bewegen, es wird bewegt und ist somit äußeren Einflüssen ausgesetzt. Im Objekttheater wird mit diesen Bedingungen gespielt: Passiver Materie werden aktive Qualitäten zugeschrieben.
Dabei tritt der Gegenstand nicht hinter dem (Schau)Spieler zurück wie beispielsweise ein Requisit, sondern er wird ihm und ihr gegenüber gleichwertig. Es kann daher auch ein lebendiger Dialog zwischen beiden stattfinden.
Puppentheater ist die Verbindungsstelle zum menschlichen Schauspiel. Doch je abstrakter die verwendeten Elemente sind, desto mehr handelt es sich um Objekttheater1Beispielsweise gab es im Weimarer Bauhaus viele Bezüge zum Objekttheater. Kostüme hatten teilweise derart großen Aufwand und Verfremdungseffekt, dass sie als bewegte Skulpturen, Plastiken zu verstehen waren wie die Arbeiten von Oskar Schlemmer, z. B. das Triadische Ballett. .
Die Gegenstände des Objekttheaters sind dabei erkennbar vorfabriziert und werden i.d.R. nicht abgeändert. Es sind Dinge, die nicht für das Spiel, sondern für den alltägliche Gebrauch hergestellt wurden: Decken, Stühle, Gläser, Kleidungsstücke, Äpfel, Bügeleisen, Taschen, Kerzenständer… Auf der Bühne erhalten sie einen neuen Bedeutungszusammenhang. Deshalb ist es ganz logisch, dass ein Glas weinen und eine Magnesiumtablette tanzen kann, wenn sie in ein Wasserglas fällt.
Je mehr es gelingt, natürliche und alltägliche Vorgänge
unter theatralem Aspekt zu betrachten,
desto leichter können Dinge gefunden werden,
die sich als kreatives Material eignen,
um inszeniert zu werden.Bertolt Brecht (1969:136)
Materialtheater
Um genau zu sein, gibt es noch eine Unterscheidung in Objekt- und Materialtheater. Während im Objekttheater gestaltete Dinge als Spielmaterial genutzt werden, verwendet das Materialtheater noch ungestaltete Stoffe. Sogenannte gestaltlose Materialien können Sand, Wasser, Tücher, Folien oder auch Knetmasse sein. Dabei wird der Verwandlungsprozess selbst zur szenischen Aktion, er ermöglicht ständige Wandlungen und Rollenwechsel.
Hier ein schönes Beispiel:
Und hier:
In der Bildenden Kunst gibt es als Gegenstück die sog. „Ready Mades“ (Marcel Duchamp) – gefundene Gegenstände („objects trouvés“), die schon an sich ein Kunstwerk sind oder aber zum Kunstwerk erklärt werden.
Eigene Beispiele
Stühle
Auf einer früheren Webseite von mir zum Thema Kommunikationstraining übernahm ich als Anschauungsmaterial einfache, leere Stühle, die zueinander in Beziehung stehen. So erzählt jede Abfolge eine andere Geschichte – die Dinge kommunizieren ohne Worte:
Oder aber:
Auch schön:
©Theater Marie CH – Aarau
Pareidolie
Unter Pareidolie versteht man das Erkennen von Gesichtern in Dingen. Es handelt sich um diese spezielle Fähigkeit, die den Menschen das Spiel mit Dingen bzw. Puppen so leicht macht.
Der Ursprung des Phänomens ist wahrscheinlich evolutionär begründet.
Pareidolien sind das Resultat bewusst oder unbewusst hervorgerufener Fehldeutungen durch das menschliche Gehirn: Dieses neigt dazu, diffuse und scheinbar unvollständige Wahrnehmungsbilder und -strukturen zu komplettieren und vertrauten Mustern und Formen anzugleichen.
Und Gesichter sind schließlich das eindeutige Erkennungszeichen eines Menschen. Ein menschliches Gesicht als solches zu identifizieren, kann für Säuglinge und Kleinkinder überlebenswichtig sein. Im späteren Leben hilft es Menschen dabei, Personen in unübersichtlichen oder gefährlichen Situationen schnell zu erkennen und angemessen zu reagieren.
Möglicherweise beruht das auf einer natürlichen Alarmfunktion, die sicherstellen soll, dass der Mensch im Alltag auch sich versteckende Personen und Gesichter ausfindig machen kann, denn das vermittelt die Sicherheit, alles unter Kontrolle zu haben.
Von Halluzinationen unterscheidet sich die Pareidolie dadurch, dass wir sie bewusst steuern können. Unser Gehirn verleiht uns auf diese Weise auch die Fähigkeit, zum Zeitvertreib Tiere in Wolkenbänken oder schlafende Riesen in großen Gebirgsketten zu sehen.
Korken und Bauklötze
Auch hier wieder Geschichten, diesmal in Vorbereitung auf die erste Version dieser Webseite. Die Korken würden schon für sich sprechen, allerdings ist die Ausrichtung der Figur manchmal nicht gut zu erkennen, daher bekamen sie jeweils noch eine Nase verpasst und dadurch schon einen eigenen Charakter.
Im Folgenden werden die Darstellungen noch abstrakter, es handelt sich nur noch um Anordnungen, die eine Situation beschreiben.
Objekttheater in Aktion
Das waren nun alles statische Beispiele für Objekttheater aus meiner eigenen Arbeit. Wie wunderbar das Spiel – also die Animation, die Belebung unbelebter Objekte – sein kann, zeigt beispielhaft dieser Beitrag von ARTE von 2017. Viel Spaß!
Arte Tracks Objekttheater 2017
Literatur
- Brecht, Bertolt: Rede an dänische Arbeitsschauspieler über die Kunst der
Beobachtung, in: ders., Über Theater, Leipzig 1969 - Kaden, Olaf, Objekttheater, in: Koch, Gerhard/ Streisand, Marianne (Hg)., Wörterbuch der Theaterpädagogik, Milow 2003, S. 214 – 216
- Lemke, Lisa, Unterwegs zwischen Abstraktion und Identifikation: Objekttheater und Theaterpädagogik, Abschlussarbeit im Rahmen der Ausbildung zur Theaterpädagogin BuT, Theaterwerkstatt Heidelberg 2010
- Theater der Zeit (Hg.), Animation fremder Körper. Über das Puppen-, Figuren- und Objekttheater, Arbeitsbuch, Berlin 2000
- Theater der Zeit (Hg.), Der Dinge Stand. The State of Things: Zeitgenössisches Figuren- und Objekttheater, Arbeitsbuch, Berlin 2018
- Zorn, Anna Maria, Subjekt: Schüler – Objekt: Theater: Objekttheater in der Grundschule, Abschlussarbeit im Rahmen der Ausbildung zur Theaterpädagogin BuT, Theaterwerkstatt Heidelberg 2016
- https://www.swr.de/wissen/pareidolie-wieso-sehen-wir-gesichter-100.html