Gibt es eine „Opferhaltung“ in der Körpersprache?

Gibt es eine „Opferhaltung“ in der Körpersprache?

Gibt es eine spezielle Körperhaltung, die Menschen ganz besonders zum Ziel von Überfällen werden lässt? Eine Haltung, nach denen Kriminelle gezielt Ausschau halten – also eine deutliche „Opferhaltung“?

Dies dürfte nicht nur für diejenigen ziemlich interessant sein, die sich beruflich mit Körpersprache beschäftigen, sondern vor allem für die, welche selbst an ihrer Körpersprache arbeiten wollen.

In den 80er Jahren veröffentlichten Betty Grayson, Mitarbeiterin an der Marketing Faculty of Hofstra University N.Y. und Morris I. Stein, Professor der Psychologie an der New York University, eine amerikanische Studie zu genau diesem Thema.

Grayson und Stein fanden in einer ­Videostudie mit verurteilten Kriminellen heraus, dass diese wie Raubtiere ihre Umgebung nach dem schwächsten Mitglied scannen.

Rasse, Geschlecht oder ­Alter spielen dabei keine ­Rolle. Vielmehr wurden Menschen zur Beute auserkoren, die vermitteln: „Mit mir hast du leichtes Spiel“.

Um herauszufinden, ob diese Verletzlichkeit mit den Bewegungen der Opfer zusammenhängt, wurden diese anhand der Laban-Bewegungsstudien analysiert und ausgewertet. In meinem Beitrag „Netzwerkkompetenz fördern“ habe ich diese Bewegungsanalysen schon kurz beschrieben.

Vorgehen der Studie

  1. Grayson und Stein machten Videoaufnahmen von Personen, die während 10.00 Uhr und 12.00 Uhr vormittags in einer Gegend mit den höchsten Überfallraten von New York gingen.
  2. Diese Videoaufnahmen wurden 12 Strafgefangenen, die Attacken auf ihnen Unbekannte begangen hatten und verurteilt worden waren, vorgeführt. Die Interpretation der Aussagen führten zu einem Auswertungsschema.
  3. Gleichzeitig wurden Haltung und Bewegungen der Personen von ausgebildeten Tanzanalysten in das Laban-System eingeordnet.
  4. Dann wurden die Videos 53 anderen Gewalttätern gezeigt. Diese stuften die Videos, die Männer und Frauen unterschiedlichsten Alters zeigten, danach ein, ob die Personen potentiell leichte Opfer darstellten oder nicht.

Grayson und Stein fanden erhebliche Unterschiede zwischen den nichtsprachlichen Signalen von potentiellen Opfern und Nichtopfern.

Unterschiede von potentiellen Opfern und Nichtopfern

Für Personen, die als leichte Opfer galten, war typisch

  • Ihre Schritte waren entweder sehr lang oder sehr kurz
  • Sie gingen unbeholfen, linkisch, hoben ihr linkes Bein zusammen mit ihrem linken Arm
  • Bei jedem Schritt hoben sie den ganzen Fuß hoch und setzten ihn dann auf  (potentielle „Nichtopfer“ ließen bei ihrem Schritt ihren Fuß von der Ferse bis zum Zeh abrollen).

Das typische potentielle „Nichtopfer“

  • benutzte eine mittlere Schrittlänge
  • veränderte sein Gewicht in einem dreidimensionalem Muster, so, als würde es die Zahl acht ausführen
  • ging „postural“: Die (Geh-)Bewegung aktivierte den ganzen Körper, nicht nur einzelne Körperteile
  • die Körperbewegung war „kontralateral“: Zwei Seiten des Körpers bewegten sich in Gegenposition (also: rechter Arm, linkes Bein, dann linker Arm und rechtes Bein usw.)
  • „schwangen ihre Füße“ (potentielle Opfer hoben ihre Füße).

Schlussfolgerungen aus der Studie

Der wesentliche Unterschied zwischen potentiellen Opfern und Nichtopfern liegt in der Gesamtheit des Bewegungsmusters.

„Nichtopfer“ besitzen koordinierte Bewegungsabläufe. Im Gegensatz dazu verraten die Bewegungen der „Opfer“ Unbeständigkeit und Dissonanz, sie sind nicht mit sich selbst im Einklang.

Auch wenn die Strafgefangenen ihre Auswahl nicht bewusst auf spezifische Schlüsselreize und Verhaltensweisen stützten, zeigten ihnen diese jedoch durch ihr Auftreten und die Erscheinung, wer als potentielles Opfer lohnend wäre.

Sie sagten, dass ihnen jede Person, die anders ausschaute (als andere Menschen), das mögliche Opfer eines Angriffs sein könnte. „Anders ausschauen“ bedeutete für sie, dass diese Personen sich in Kleidung und Verhalten von anderen Menschen unterschieden.

Zu kurze oder zu lange Schritte, unilaterale Körperbewegungen (nur eine Seite des Körpers bewegt sich) usw. sind so abweichend von der Norm, dass sie als unangemessen betrachtet werden.

Durch ihr „Anderssein“ als die anderen Menschen zeigen potentielle Opfer ihre Verletzlichkeit. Potentielle Täter „lesen“ unbewusst diese nichtsprachlichen Signale und erkennen diese Verletzlichkeit.

Diese Erkenntnisse sollten laut Grayson/ Stein als Hilfestellung sowohl für Aufklärende als auch die Betroffenen selbst dienen.

BBC-Dokumentation

Auftreten und Gang von David, Opfer eines Überfalls,  werden in dieser Dokumentation analysiert. Im Folgenden bekommt er Nachhilfe von zwei Bodyguards, und schließlich wird er von Boxern und Streetfightern (erneut) beurteilt. Die Entwicklung in der BBC-Dokumentation: „Opfer“ Rolle – alles nur eine Sache von Körpersprache?

Fazit

Für uns als Theaterleute ist das natürlich aus dem Grund interessant, weil wir damit unseren Figuren spezifische Bewegungsmuster geben können, die ihren Status als Opfer oder Nicht-Opfer unterstreichen. Mir selbst war es allerdings ohne eine innere Bereitschaft gar nicht so einfach, z.B. sehr natürlich mit langen Schritten im Passgang zu gehen. So hängen also innere und äußere „Bewegung“ durchaus wieder zusammen.

Quellen

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