Kreatives Schreiben als Motor für Szenisches Spiel

Kreatives Schreiben als Motor für Szenisches Spiel

Letztens fiel mir das Reclam-Heftchen „Kreatives Schreiben“ (Stuttgart 2006) wieder in die Hände. Und beim nochmaligen Durchsehen stelle ich fest, dass diese Übungen auch hervorragend geeignet sind, um ins Szenische Spiel einzusteigen.

Deshalb möchte ich hier ein paar Ideen weitergeben und anregen, sich für die Bühne auch grundsätzlich von den Übungen zum Kreativen Schreiben inspirieren zu lassen.

Die besten Vorschläge darunter finden sich interessanterweise im Kapitel „Erzählendes“ und nicht „Dramatisches“ (s. Kap.3).

Hinführung auf das improvisierte Spiel

Die Übungen kennt man durchaus aus dem Improvisationstheater. Im Gegensatz zum Schreiben geht es beim Theaterspiel direkt um das Tun. Zunächst einmal die ursprüngliche Übung:

(Nr. 35) Erstens kommt es anders, …

Einsatz in der Mittel- und Oberstufe, Einzelarbeit, eine Doppelstunde, Material: Stift und Papier.

Eines der Sprichwörter soll in einer zweiseitigen Geschichte eine zentrale Rolle spielen. Das Sprichwort soll zu Beginn deines Textes in seiner ur­sprünglichen Fassung vorkommen, zum Schluss in einer abgeänderten Form. Die Änderung des Sprichwortes soll sich aus dem Verlauf der Handlung ergeben.

Einsatz für das Theater

Der Spielleiter/ die Spielleiterin (SPL) kann direkt ein Sprichwort in die Szene einwerfen, das von den Teilnehmenden (TN) sofort ins improvisierte Spiel eingebaut wird.

Oder man lässt Paare bilden und sich kurz absprechen, um die „Änderung des Sprichwortes“ in einer kurzen Szene darzustellen.

Sprichwörter:

Abwarten und Tee trinken.Wer lange hustet, wird alt.
Alle für einen, einer für alle.Je oller, je doller.
Hochmut kommt vor dem Fall.Glück und Glas, wie leicht bricht das.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
Wer zuletzt lacht, lacht am besten.Ein gebranntes Kind scheut das Feuer.
Hunger ist der beste Koch.

(Nr. 36) Wortwörtlich

Diese Redensarten beschreiben einen Zustand oder das Verhal­ten eines Menschen. Nun sollst du deine ausgewählte Re­densart ganz wörtlich nehmen und auf eine Person bezie­hen. Verfasse eine einseitige Erzählung dazu.

Einsatz für das Theater

Die Redensart kann – ganz wörtlich genommen – Ausgangspunkt für das Stegreif-Spiel sein. Oder – ebenso wörtlich oder auch im übertragenen Sinn – kann die SPL die Redensart ins Spiel einwerfen, so dass sie im Lauf der Szene eingebaut wird.

Redewendungen:

Über den eigenen Schatten springenKein Blatt vor den Mund nehmen
Einen Frosch im Hals habenKeinen Bock haben
Jemandem Steine in den Weg legenJemandem aufs Dach steigen
Die Haare stehen einem zu BergeKeinen Deut auf etwas geben
Sich Asche aufs Haupt streuenEulen nach Athen tragen
Auf dem absteigenden Ast sitzenDen Faden verlieren
Etwas aus dem Ärmel schüttelnFarbe bekennen
Etwas ausgefressen haben

(Nr. 54) Vorgegebener Titel

Wenn du an einem Theater vorbeigehst und dir die Titel der Stücke anschaust, die dort gespielt werden, wirst du merken, dass man sich bei manchen gar nicht vorstellen kann, worum es geht. Bei anderen wiederum kann man anhand des Titels schon ahnen, was in dem Stück wohl passiert. Such dir nun einen der folgenden Titel aus und schreib dazu ein kurzes Drama.

Einsatz für das Theater

Die Titel finde ich jetzt nun nicht unbedingt den Bringer, aber natürlich können sich die TN in Gruppen (2 – 4) dazu eine Szene in kurzer Vorbereitungszeit überlegen und aufführen. Selbstverständlich kann die SPL noch weitere Vorgaben (Wetter, Ort, Gefühl, Farbe etc.) bestimmen. Oder die Aufgabe besteht u.a. darin, den Titel möglichst spät in der Szene aufzulösen – oder sogar als Auflösung zu nehmen… Oderoder 😉

Vorgegebene Titel:

Fremder in der NachtDie Glaubensfrage
Die dreckige MauerSchulferien
Der rosarote StuhlDer Weihnachtsmann
Die Frau des GeigenspielersDer Führerschein
Auf dem BahnhofKatzenjagd

Punkte der Konzentration: Szenisches Spiel

„Punkte der Konzentration“ sind in der Schauspielpädagogik bestimmte Aufgaben, die bei der Improvisation im Vordergrund stehen sollen. Die Begründerin dieses Begriffes, Viola Spolin, hat diese Punkte in ihrem Standardwerk „Improvisationstechniken“1Spolin, Viola, Improvisationstechniken für Pädagogik, Therapie und Theater, Paderborn 51997 beschrieben. Die eigentlich für das Kreative Schreiben vorgesehenen Übungen ähneln in vielen Bereichen diesen „Punkten“.

Der Punkt der Konzentration – Bedeutung und Zweck

Viola Spolin, eine Pionierin des Improvisationstheaters, hat den Punkt der Konzentration als ein zentrales Konzept entwickelt, um den kreativen Prozess und das authentische Spiel auf der Bühne zu fördern. In ihren Arbeiten beschreibt sie diesen Punkt als eine Art Fokus oder Aufgabenstellung, die die Aufmerksamkeit der Spieler auf eine bestimmte Handlung oder ein Ziel lenkt. Statt sich zu viele Gedanken über das „richtige“ Spiel zu machen oder sich mit Selbstzweifeln zu beschäftigen, verschafft der Punkt der Konzentration eine klare Ausrichtung, die hilft, in den kreativen „Flow“ zu kommen.Viola Spolin, Improvisationstechniken

In der Praxis funktioniert das so: Der Spielleiter gibt den Spielern eine einfache, klare Aufgabe oder eine bestimmte Herausforderung (z. B. „Stell dir vor, der Boden ist aus Eis“ oder „Sprich, als ob du jemanden überzeugen musst“). Diese Aufgabe ist der „Punkt der Konzentration“. Durch diesen gezielten Fokus erleben sie die Szene intensiver und realistischer und sind in der Lage, spontaner auf Impulse von innen und außen zu reagieren. Dies trägt zur Authentizität und Lebendigkeit des Spiels bei und lässt die Schauspieler ihre eigenen kreativen Ressourcen besser nutzen. (vgl. Spolin 1997:37ff.)

(Nr. 7) Die Sinne erfassen

Einsatz in der Mittel- und Oberstufe, Einzelarbeit, eine Doppelstunde, Material: Stift und Papier.

Die Beschreibung von Düften, Geschmäckern und Geräu­schen hilft dem Leser, sich besser in eine Erzählung einzu­fühlen, da die Geschichte so auch sinnlich für ihn nach­vollziehbar ist. Zu einem vorgegebenen Thema sollt ihr eine Geschichte schreiben und dabei alle eure Sinne be­rücksichtigen.Gutes_Essen

Schreibt eine Erzählung zum Thema »Der Restaurant­tester«. Er prüft sämtliche Gastronomiebetriebe der Stadt auf ihre Qualität. An einem Tag schafft er es, die Mahlzei­ten von drei Restaurants zu testen. Nach dem Essen muss er einen Bericht darüber anfertigen. Überlegt, welches Ge­richt ihm der jeweilige Chefkoch anbietet, und beschreibt seinen Geschmack, Duft sowie sein Aussehen. Außerdem beschreibt das Lokal, und zwar so, dass der Leser es sich gut vorstellen kann. Welche Musik läuft dort oder wird , sie von dem Geplauder der Gäste übertönt? Wie ist das Restaurant eingerichtet? Selbstverständlich könnt ihr die Geschichte mit bunten Details anreichern: Was beobach­tet, was erlebt der Tester bei seinen Restaurantbesuchen?

Einsatz für das Theater

Das ist eine schöne Vorgabe für eine (improvisierte oder vorbereitete) Szene: Die Konzentration auf die Sinne. Auf diese Weise bestimmt man in dem Fall ein wenig präziser die Figuren im Spiel. Sie hören mehr, riechen, schmecken sehr gut oder tasten besonders gern. Dabei kann die Ortsvorgabe (Restaurant) durchaus beibehalten werden.

(Nr. 9) Vorgegebenes Thema

Ihr greift eine kurze Szene aus eurer fertigen Geschichte heraus. Im Anschluss wählt jeder von euch ein Material aus. Dieses kann ganz allgemein ausgewählt werden: Es ist hart, weich, flüssig, kratzig oder glatt. Ihr könnt es aber auch präziser bestimmen, zum Beispiel Holz, Stahl, Gum­mi, Quecksilber oder Kork. Die Eigenschaften des Mate­rials sollen nun in einem zweiten Schritt so von jedem Einzelnen in die Geschichte integriert werden, dass sie in jedem Satz eine Rolle spielen. So entstehen aus der Ge­schichte der Gruppe vier Variationen. Schließlich tragen die Gruppenmitglieder ihre Geschichte, die viermal ganz anders erzählt wird, vor.

Beispiel:

Erste, in Gruppenarbeit verfasste Sequenz zu dem The­menbereich >zwei Kühe<:

Auf einer grünen Wiese standen zwei Kühe, die ihr Mittagessen zu sich nahmen: frisches, saftiges Gras. Die Wiese wurde von einem Fluss geteilt. Ein kleiner Junge spielte am Ufer mit Schiffchen. Er setzte sie ins Wasser und be­obachtete, wie sie untergingen.

Material: flüssig

Eine Wiese hatte sich auf dem Meeresgrund gebildet, das Gras bewegte sich mit der Strömung. Zwei Kühe tranken das nasse, saftige Gras genüsslich. Die Wiese wurde durch eine Rinne geteilt. Ein kleiner Junge im Taucheranzug spielte an der Rinne mit Schiffchen. Er setzte sie hinein und beobachtete, wie sie nach oben trieben und die Fische vor ihnen erschraken.

Material: trocken

Auf einer braunen, ausgedorrten Wiese standen zwei Kühe, die versuchten, das knochentrockene Gras zu fres­sen. Ihre Mäuler waren blutig, da sich ihre Haut an der staubig-steinigen Erde aufschürfte. Die Wiese wurde von einem Flussbett geteilt, worin kein Wasser mehr floss. Ein kleiner, dünner Junge hockte sich an das Flussbett. Er konnte nicht sitzen, so dünn war er; das Sitzen hätte ihm wehgetan. Er setzte sein hölzernes Schiff in das Flussbett und zog es an einer Leine vorwärts.

Einsatz für das Theater

Wieder eine preiswürdige Story. Aber die Aufgabe könnte man durchaus mal probieren anhand der oben entwickelten Szene im Restaurant (Nr. 7). Der Punkt der Konzentration liegt in diesem Fall nicht auf den jeweiligen Sinnen, sondern auf der Materialeigenschaft hart, weich, flüssig, kratzig oder glatt. Diese Eigenschaft kann sich auf alles beziehen, auf die Umgebung, die Requisiten und auf die Figuren selbst. Könnte spannend sein!

(Nr. 28) Aus der Sicht eines Gegenstandes

Perspektivenwechsel ist angesagt. Jeder soll sich einen Ge­genstand aussuchen, der sich in seinem Rucksack, Schlaf­- oder Badezimmer befindet. Verfasst dann eine Erzählung aus der Sicht dieses Gegenstandes. Bedenkt dabei, wie er beschaffen ist und was dem Gegenstand gefallen könnte und was nicht. Wie wird er von dir verwendet und wie würde er vielleicht viel lieber benutzt werden? Versetzt euch in den Gegenstand und überlegt, was er alles mit euch erlebt.

Einsatz für das Theater

Das ist der klassische Perspektivenwechsel, der auch beim Figurenspiel oder beim Objekttheater zum Tragen kommt. Ob man das mit einem Text vorbereitet oder im improvisierten Spiel entwickelt ist ganz dem SPL überlassen. Ebenso die Art des Theaters – spannend ist sicher auch die Verkörperung des Gegenstandes durch die TN.

ChatGPT macht diesen entzückenden Vorschlag am Beispiel eines Streichholzes:

Ich bin ein Streichholz, und mein Leben ist kurz, aber aufregend. Ich liege hier in einer kleinen Pappschachtel, eingeklemmt zwischen meinen Geschwistern, eng und warm, Seite an Seite, wie eine Familie. Die Schachtel selbst ist dunkel, manchmal ein wenig staubig, aber immerhin sicher – hier drin fühle ich mich beschützt.Streichhoelzer

Wir Streichhölzer haben uns oft gefragt, wer uns wohl kaufen würde. Wir träumten von großen Abenteuern – vielleicht würden wir ein Lagerfeuer entzünden, eine Kerze zum Leuchten bringen oder das Herdfeuer entfachen.

Nach Wochen, oder vielleicht Monaten, kam der Tag, an dem jemand uns aus dem Regal nahm. Ein älterer Mann, der an Zigaretten roch, trug uns in seiner Tasche. In der ersten Zeit zitterten wir vor Aufregung. Jeder einzelne von uns hoffte, dass er der Erste sein würde. Und dann geschah es! Der Mann öffnete die Schachtel, und Licht drang herein. Ich sah seine Hand nach mir greifen, und ich wusste, das ist mein Moment. Seine Finger zogen mich heraus, und ich spürte die kühle Luft zum ersten Mal. Die Spannung war kaum auszuhalten. Der Mann hielt mich gegen eine rauhe Fläche an der Seite der Schachtel und zog mich mit einem Ruck daran entlang.

In dem Moment spürte ich es – die Hitze, das Zischen, das Leuchten. Ein Blitz, und plötzlich brannte ich. Mein Kopf begann zu glühen, ein kleines, orangefarbenes Flämmchen tanzte an mir entlang. Die Wärme und das Licht waren überwältigend. Ich spürte, wie meine Zeit dahin schwand, aber es fühlte sich großartig an, nützlich zu sein. Mein Feuer entfachte die Zigarette des Mannes, und ich erlosch langsam, zufrieden, meine Aufgabe erfüllt zu haben.

Hier liege ich nun, ein kleiner Haufen Asche und Erinnerungen, doch ich weiß: Ich habe für einen kurzen Moment geleuchtet. [09.11.24]

Dramatisches Schreiben als Hemmnis für Szenisches Spiel

Wie oben schon erwähnt, halte ich die Übungen zum dramatischen Schreiben allesamt für ungeeignet, um ins Theaterspiel zum kommen. Dramatisches Schreiben bedeutet das Schreiben für die Bühne, doch einen guten Text zeichnet auch die Verdichtung, der Stil, das Setting aus – und das ist eine ganz andere Arbeit als das Spiel auf der Bühne.

Die Darstellenden sollen sich mit dem Text intensiv befassen, ihn bearbeiten und abklopfen auf seine Möglichkeiten, auch einmal gegen den Text spielen, in unmöglichen Situationen sprechen u.v.m. Das ist alles mit selbst geschriebenen Szenen so kaum möglich. Meist fehlt es an Spannung, notwendiger Verkürzung, Konzentration auf das Wesentliche, an einer ausdrucksvollen Sprache.

Gut beobachten lässt sich das auch an den Theaterstücken, die für den Schulunterricht geschrieben wurden. Da sich dort als übergeordnetes Ziel immer ein pädagogischer Ansatz findet, fällt die künstlerische Qualität quasi ausnahmslos durch. Das ist überhaupt ein interessantes Thema, an dem ich gerade dran bin: Ist es grundsätzlich möglich, auf theaterpädagogischem Weg qualitative Kunst hervorzubringen?

Wer sich aber einmal ins Schreiben hineinstürzen möchte: Auf Dramaqueen.info (Software zur Unterstützung von AutorInnen) findet sich ein Begriffslexikon zum Dramatischen Schreiben als erste Orientierung.

Viel Spaß beim Ausprobieren!

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