Vor Kurzem habe ich an einer geführten Rundreise durch Vietnam teilgenommen. Die Wahl dieses Landes hatte natürlich auch diesmal – ähnlich meiner Namibia-Reise – mit meinem grundsätzlichen Interesse an der Geschichte von kolonisierten Ländern und deren Folgen für die Bevölkerung zu tun. Auch hier wurde ich eher angenehm überrascht, wie sehr sich meine persönlichen Erwartungen von der vietnamesischen Realität unterschieden, zumindest derjenigen, welche ich bei einer so kurzen Reise überhaupt kennen lernen konnte.
Meine Annahme: Es gibt viele französische Kolonialbauten, und die frz. Kolonialgeschichte ist stark präsent. Es wird viel Französisch gesprochen.
Durchaus lassen sich in allen Teilen des Landes viele Kolonialbauten entdecken, doch viel „Französisches“ oder französisches Flair konnte ich dabei kaum entdecken. Es wird so gut wie gar nicht mehr Französisch gesprochen. Nur im Norden gab es hier und da mal ein Schild: „Ici on parle francais.“
Ich lasse jetzt hier mal aus, dass die Transkription der vietnamesischen Schriftzeichen in die heute geltende lateinische Schrift durch die Franzosen erfolgte, was ja eine deutliche Hinterlassenschaft ist1Die heutige Schriftsprache in Vietnam wurde im 17. Jahrhundert von Missionaren aus Europa entwickelt. Im Jahre 1910 führte die französische Kolonialverwaltung die lateinische Schrift als offizielle Amtssprache ein. Nach 1945 wurde sie verbindlich und zur schnelleren Alphabetisierung der Bevölkerung eingesetzt.…
Vielleicht habe ich mich auch zu sehr von dem Roman „Der Sympathisant“ von Viet Than Nguyen beeinflussen lassen, ohne zu berücksichtigen, dass die Handlung ja im Vietnamkrieg bzw. kurz nach dessen Ende beginnt. Der Protagonist thematisiert darin die französische Kolonialherrschaft natürlich ganz besonders, weil er selbst „zweigeteilt“ ist – mit einem französischen Vater und einer vietnamesischen Mutter – und diese Tatsache die ganze Erzählung beeinflusst (wie übrigens auch den Folgeband „Die Idealisten“ – beide nachdrücklich zu empfehlen!).
Rathaus in Saigon, davor das Denkmal von Ho-Chi-Minh
Die am meisten verbreitete Fremdsprache in Vietnam ist Englisch. Aufgrund der Geschichte des Landes und der früheren Einbindung in den Ostblock trifft man auch oft auf Deutsch sprechende Vietnamesinnen und Vietnamesen (so wie alle unsere Reiseführer). Denn etwa 100.000 Vietnamesen haben bis 1989 in der DDR studiert, gearbeitet oder eine Ausbildung absolviert.
2. Vietnam ist ein armes Land.
Eher nein. Vietnam definiert sich als sozialistische Marktwirtschaft und ist unter den asiatischen Ländern eines mit großer wirtschaftlicher Dynamik.
Einerseits arbeiten zwar mindestens 50% der vietnamesischen Erwerbstätigen in Klein- und Kleinstbetrieben für den Binnenmarkt, d.h. meist in Familienbetrieben in Landwirtschaft, Fischerei, Gastronomie und Handwerk. Dies lässt sich gut beobachten in den Straßen, in denen sich die kleinen Geschäfte aneinander reihen – unten der Laden, im Hintergrund die Treppe, die zu der Wohnung darüber führt.
Straßenläden mit darüberliegenden Wohnungen, Hanoi
Andererseits entstehen an mehreren Standorten hochmoderne Wirtschaftszentren, in denen sich ausländische Investoren engagieren. Fast drei Viertel der vietnamesischen Ausfuhrgüter werden durch ausländisch finanzierte Unternehmen hergestellt. Neben landwirtschaftlichen Produkten (Kaffee!) exportiert Vietnam vor allem Elektronikartikel, Textilien und Schuhe sowie Möbel.
Der Digitalsektor ist ein wichtiger neuer Wirtschaftszweig, und der Dienstleistungssektor gewinnt an Bedeutung – vor allem der Einzelhandel und die Tourismusbranche profitieren von einer wachsenden Mittelschicht.
Deshalb kommen der Bildung und Ausbildung in zunehmenden Maße Bedeutung zu. Obwohl es keine Schulpflicht gibt und das Schulmaterial selbst bezahlt werden muss, werden fast alle Kinder im Alter von 5 Jahren eingeschult. Allerdings schließen bisher nur etwa 65 Prozent von ihnen die Grundschule ab. Gründe hierfür sind die Kosten, die sich viele Eltern nicht leisten können. In ländlichen Regionen sind viele ärmere Familien auch auf die Mitarbeit ihrer Kinder angewiesen, weshalb diese nicht zum Unterricht gehen können.
Hanoi, Gegenwart
Immer wieder wurde von unseren Reiseführern auf die bedrückende Corona-Zeit verwiesen, die auch Vietnam im Griff hatte. Das öffentliche und wirtschaftliche Leben kam nahezu zum Erliegen, und gerade die erst langsam wachsende Tourismusbranche hatte herbe Verluste zu verzeichnen.
Doch Vietnam strebt in der Zwischenzeit weiter aufwärts – 2022 war das Wirtschaftswachstum bereits wieder auf acht Prozent gestiegen.
Ich muss sagen, das konnte ich nicht erkennen. Obwohl es wohl einige Gedenkstätten, Museen, besondere Friedhöfe und Denkmäler gibt2vgl. Andreas Margara, Der amerikanische Krieg. Erinnerungskultur in Vietnam, Berlin 2012, gestaltet sich die Erinnerungskultur Vietnams an die Vergangenheit doch anders als aus westlicher Sicht gewohnt. Sie war, was ich wahrnehmen konnte, im Stadtbild nicht präsent.
Denn über die Vergangenheit wird in Vietnam nicht oft gesprochen. Dem daoistischen Glauben der beseelten und umfassenden Natur entsprechend, kann die Erinnerung an tragische Ereignisse diese immer wieder aufs Neue herauf beschwören. Tatsächlich, wer sieht, wie offen dieser Glaube praktiziert wird, kann sich gut vorstellen, dass die Menschen lieber ihre Gottheiten und ihre Ahnen um sich versammeln als ein steinernes Denkmal aus der Vergangenheit!
Ein gedanklicher Ausflug zu Kambodscha:
Noch in den 1990er Jahren überwogen in meiner Erinnerung aus diesem Land Foto-Aufnahmen von ernsten, schweigsamen Menschen, misstrauisch und abweisend. Und wenn man sich vor Augen führt,
dass die Roten Khmer im Bestreben, einen pervertierten Kommunismus zu errichten, seit 1975 mehr als zwei Millionen Menschen in dem Land ermordeten,
dass diese Terroristen international bis weit in die 90er Jahre als Vertretungsmacht Kambodschas betrachtet wurden und
dass ihr Anführer Pol Pot, „Bruder Nr. 1″, erst 1998 in Kambodscha starb,
kann man sich vorstellen, dass die Schrecken der Terrorherrschaft noch immer im Hintergrund lauerten.
Die 1993 in Kraft getretene Verfassung definiert Kambodscha bis heute als parlamentarische Wahlmonarchie, in der die Exekutive aus dem König und einem vom Ministerpräsidenten geführten Ministerrat besteht. Gleichzeitig trägt das politische System Kambodschas autoritäre Züge, und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist bis heute stark eingeschränkt.
Fotosession in Angkor Thom
Dennoch bin ich der Meinung, dass man inzwischen auch ein anderes Bild von Kambodscha wahrnehmen kann. Im Stadtbild und auf Aufnahmen dominieren auch hier freundliche, lächelnde Menschen. Dies mag vielleicht auch mit dem Generationenwechsel zu tun haben, durch den persönliche Erfahrungen mit den Kriegs- und Terrorzuständen abgenommen haben.
Zurück zur Erinnerungskultur Vietnams:
Selbstverständlich haben wir auf unserer Reise das umfangreicheKriegsrestemuseumbesichtigt. Und das ist schon enorm eindrücklich.
Kriegsrestemuseum, Saigon
Im Innenhof stehen original Hubschrauber, Kampfflugzeuge, Panzer und Angriffsbomber. Desweiteren sieht man die sog.„Tigerkäfige“, in denen die südvietnamesische Regierung politische Gefangene auf grausamste Weise hielt. Die Geschichte des Indochina- und Vietnam-Krieges wird in diesem Museum sehr nachvollziehbar vermittelt.
Fotografien zeigen die Auswirkungen des Entlaubungsmittels „Agent Orange“ sowie des Einsatzes von Napalm- und Phosphorbomben auf die Menschen vor Ort. Weitere Waffen und Bomben sind ausgestellt. Deformierte menschliche Föten belegen die Spätfolgen des Krieges.
Ich stelle mir die Frage, warum es angesichts dieser Bilder und Zahlen überhaupt noch Kriege geben kann. Und diese Frage halte ich nicht für naiv.
Offenbar sind es immer Machthunger, Habgier, Sex, Neid, Zorn, Arroganz, Maßlosigkeit, die Kriege auslösen. (Und gleichzeitig die Themen, die auf den Theaterbühnen verhandelt werden!). Und laut Buddha, dem 40 % des vietnamesischen Volkes folgen, sind es Unwissenheit, Egoismus, Anhaftung, Abneigung und Furcht, die einem glücklichen Leben entgegen stehen3Mehr zum Buddhismus auf der Seite der Buddhistischen Union Deutschlands.. (S. Kap. 3).
Ein Eingang zum Tunnelsystem in Cu Chi
Der Ausflug zu den Tunneln in Cu Chi gehört zu einer der bedrückendsten Erlebnisse überhaupt. In diesem komplexen Tunnelsystem lebten die Vietcong-Kämpferinnen und Kämpfer über Jahre versteckt vor den Amerikanern. Es erstreckte sich im Untergrund über eine Länge von 200 km und beherbergte Krankenhäuser, Kommandostände, Schutzräume und sogar Waffenfabriken. Letztlich belegt dies auch die Widerstandsfähigkeit dieses unterdrückten Volkes.
Parallelen zum Höhlensystem Tora Bora in Afghanistan oder den Hamas-Tunneln in Gaza drängen sich auf.
Kolonialisierungsgeschichte Vietnams
Vietnam hat in seiner Geschichte ganz besonders unter Kriegen und fremden Herrschern gelitten: Chinesen, Franzosen, Japaner, US-Amerikaner.
Kaiserpalast in Hue, Ausschnitt
Auf der Seite des Münchner Merkurs habe ich eine gute Zusammenfassung gefunden:
„Vietnam wurde um das Jahr 200 vor Christi gegründet und keine hundert Jahre später von China erobert. Über tausend Jahre stand Vietnam unter chinesischer Herrschaft, danach war es viele Jahrhunderte unabhängig. 1862 machte Frankreich Vietnam zu seinem Schutzgebiet, einer Art Kronkolonie.
An diese Zeit erinnern noch einige alte Häuser, die im französischen Stil gebaut sind. Um die Jahrhundertwende formierte sich erster Widerstand gegen die Kolonialmacht, der in der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1927 zunehmend wuchs.
Doch erst Ho Chi Minh, Gründer und Führer der Kommunistischen Partei Indochinas, gelang mit der 1941 gegründeten Bewegung „Vietminh“ der Aufbau einer Basis für den Kampf gegen die Besatzer. Nach der Verkündigung der Unabhängigkeit des Landes zerbrach Vietnam in zwei Teile: in einen kommunistischen Norden und einen westlich orientierten Süden.
Der Konflikt zwischen Nord- und Südvietnam führte zu einem erbitterten Krieg. Die USA kämpften im Vietnamkrieg auf der Seite des Südens und erlitten dabei selbst auch sehr schwere Verluste. Nach dem sogenannten Tonkin-Zwischenfall von 19644Angeblich vietnamesischer Angriff auf amerikanische Kriegsschiffe, Vorwand für militärisches Eingreifen der USA. hatte Präsident Lyndon B. Johnson im Februar 1965 erstmals Nordvietnam direkt bombardieren lassen. Ab März entsandte er außerdem immer mehr Bodentruppen zur Bekämpfung der NLF (engl. für: National Liberation Front of South Vietnam; deutsch: Vietcong) nach Südvietnam.
Am 30. April 1974 hatten die Nordvietnamesen die Innenstadt und den Präsidentenpalast Saigons (heute: Wiedervereinigungspalast) ohne Widerstand eingenommen. 1975 gab sich Südvietnam geschlagen und ein Jahr später wurden die beiden Teile als Sozialistische Republik Vietnam wiedervereint. Dieser Krieg hatte mindestens 1 Million Vietnamesen und 58.220 US-amerikanische Soldaten das Leben gekostet.“
Die daher wirklich prägenden Zeiten, die bis heute das kollektive Gedächtnis Vietnams beschäftigen, sind zweifellos
die Fremdherrschaft der Chinesen und
„Der Krieg“.
Der Umgang heute
Es wirkt allerdings, als hätten die meisten Vietnamesinnen und Vietnamesen den „Krieg“ inzwischen hinter sich gelassen. Das hängt möglicherweise auch mit der Altersstruktur zusammen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist unter 35 Jahre alt und kennt den Krieg tatsächlich nur aus dem Geschichtsunterricht.
Dies ist aber wohl nur ein Grund. Der zweite lässt sich womöglich in der inneren Haltung der VietnamesInnen finden – und in ihrer Religion.
Religiöser Hintergrund
Die Religion mit einer riesigen Vielfalt an Glaubensrichtungen spielt im vietnamesischen Alltag eine sehr große Rolle.
Sie äußert sich vor allem in der Verehrung der Natur, begründet durch den jahrtausendealten, lebensnotwendigen und stark von natürlichen Faktoren abhängigen Wasserreisanbau. Dazu gehören praktizierter Polytheismus – Vielgötterglaube – und die Verehrung von Göttinnen sowie von Tieren und Pflanzen.
Ein vietnamesischer Tempel zur Verehrung der Gottheiten ist meist ein ziemlich bunter Mix aus Heiligenfiguren, Trommeln und Räucherstäbchen. Oft findet man auch den aufsteigenden Drachen, der im Wasser geboren wurde, ein bedeutungsvolles und besonderes Symbol der vietnamesischen Nation.
Aber auch in so gut wie jedem Zuhause gibt es einen kleinen Altar, der den Ahnen gewidmet ist, denn der am weitesten verbreitete Volksglaube ist der Glaube an die Ahnenverehrung. Die Vietnamesen begehen den Todestag statt des Geburtstags als Gedenktag für die Verstorbenen. Jede Familie verehrt den Gott des Heims, der sich um das Heim kümmert und die Familie segnet. Jedes Dorf verehrt seinen Thanh hoang, den „Dorfgott“, der das ganze Dorf beschützt und leitet (die Vietnamesen ehren stets die Menschen, die sich um die Dorfbewohner besondere Verdienste erworben haben, oder Nationalhelden, die in dem Dorf geboren oder gestorben sind, als ihren Thanh hoang).
Pchum Ben – Den Ahnen werden Essen und Getränke dargeboten.
Für mich war es sehr bewegend, mich am ersten Todestag meiner Mutter in Angkor, Kambodscha, aufzuhalten, wo gerade das Bonn Phchum Ben – das dreitägige Fest zu Ehren der Ahnen – stattfand. Dort werden den Ahnen Kerzen, Blumen, Essen und Getränke dargeboten. In einer Pagode konnte ich daran teilnehmen, wie Gläubige und Mönche der Toten mit Gebeten und Gesängen gedachten. Dafür war ich sehr dankbar.
Der Buddhismus ist mit etwa zehn Millionen Anhängern die größte der Weltreligionen in Vietnam. Gegenwärtig gibt es mehr als 20.000 Pagoden (turmartige Tempel), die Buddha, einer Gottheit oder einer Ehrenperson gewidmet sind.
Der Katholizismus wurde Anfang des 17. Jahrhunderts von spanischen, portugiesischen und französischen Missionaren in Vietnam eingeführt und ist heute die zweitgrößte ausgeübte Religion. Die Volksgruppe der Cham brachte den Hinduismus nach Vietnam. Diese praktizieren heute aber einen eher gemäßigten Islam. (Vgl. auch https://vietnamembassy-usa.org/culture/beliefs-religions)
Buddhismus
Über die Vergangenheit wird in Vietnam wie gesagt nicht oft gesprochen. Dies hat einer der Reiseführer ganz besonders deutlich gemacht: „Wir Vietnamesen sagen: „Was vorbei ist, ist vorbei.“ Das fand ich sehr bemerkenswert und hat mich bewogen, mich nochmal nach langer Zeit mit dem Buddhismus zu befassen – genauer gesagt, mit dem vietnamesischen Buddhismus.
Hier stieß ich auf den Zen-Meister und Vertreter des sozial-engagierten Buddhismus Thích Nhất Hạnh. Er schrieb das Buch, das diesem Beitrag den Titel gab:
Thích Nhất Hạnh, Im Hier und jetzt zu Hause sein, München 2024
Aus diesem Buch habe ich zwei Geschichten ausgewählt, von denen ich glaube, dass sie die Haltung der Vietnamesinnen und Vietnamesen zu ihrer Geschichte gut ausdrücken:
Die wiederkäuenden Kühe
Unser Geist ist wie ein Kassettenrekorder, der Tag und Nacht eingeschaltet ist. Wir sind nicht im gegenwärtigen Moment, denn unser Denken, unsere Sorgen halten unseren Geist beschäftigt. Wir verlieren uns vielleicht in unserer Vergangenheit, wir bedauern, was in der Vergangenheit geschehen ist, oder sind gefangen im Leiden, das wir in der Vergangenheit erfahren haben. Wir haben schon in der Vergangenheit gelitten, nun wollen wir weiter leiden, indem wir uns immer wieder daran erinnern. Wir rufen uns unsere Vergangenheit ins Gedächtnis, um mehr zu leiden. Warum wollen wir unser Leiden viele Male durchleben?
Wenn Kühe Gras fressen, dann schlucken sie es hinunter, dann holen sie es wieder hoch und kauen wieder und schlucken es ein zweites Mal hinunter. Viele von uns handeln genauso. Wir haben bereits in der Vergangenheit gelitten. Aber wir möchten unser Leiden wieder gegenwärtig werden lassen und noch mehr leiden. Wir mögen das. (…)
Wir sollten unserem Geist vertrauen, genauso wie unserem Körper. Unser Geist hat die Kraft der Selbstheilung, wenn wir wissen, wie wir ihm Ruhe geben können und wie wir ihn nicht mit weiteren Sorgen, weiteren Projekten und Ängsten füttern. Die Praxis des achtsamen Atmens, achtsamen Gehens, die Freude am blauen Himmel, an der Vegetation, dem Zusammensein mit Freunden, das Genießen des gegenwärtigen Augenblicks helfen uns, diese Art der Gefühle, die unser Herz und unseren Geist mit Sorgen und Angst erfüllen, zu stoppen. So kann innere Heilung stattfinden. (S. 32-34.)
Die Bäume im Garten
Das Leiden ist sehr wichtig für unser Glück. Wir können nicht verstehen, nicht lieben, solange wir nicht wissen, was Leiden ist. Die Freude darüber, etwas zu essen zu haben, kann man sich nur vorstellen, wenn man einmal Hunger gelitten hat. In manchen Gegenden Chinas begrüßen sich die Menschen nicht mit »Guten Tag, wie geht es dir?«, sondern mit »Hast du schon gegessen?«, »Hast du etwas zu essen?« Wir wissen, es gibt Hunger und Tod. Unsere Liebe wird auf ganz einfache Weise ausgedrückt: Hast du schon gegessen? Hast du schon etwas zu essen gehabt?
Wir neigen dazu, das Leiden, die Sorgen und die Verzweiflung in uns beseitigen und entfernen zu wollen. Wir hätten gerne, dass Buddha oder Gott wie ein Chirurg handelt, der aus uns alles, was wir nicht an uns mögen, herausschneidet oder amputiert, das System sozusagen davon befreit.
Im Licht der Nicht-Dualität sind wir nicht nur die Blumen, wir sind auch der Abfall in uns. Wir können uns nicht einfach loswerden. Manchmal sind wir Liebe, manchmal sind wir Wut. Wir sind Liebe, aber wir sind auch Wut. Deshalb müssen wir uns sowohl um die Liebe als auch um die Wut in gleicher Weise kümmern. (S. 91)
Im Ausland sein, ohne Theater zu schauen? Niemals!
Das klassische vietnamesische Wasserpuppentheater gibt es nur dort und ist eng verknüpft mit der Lebensweise und den Erzählungen der vietnamesischen Landbevölkerung. Die Szenen werden meist von Live-Musik begleitet.
Die Spielenden bewegen die Holzfiguren an langen Stangen hinter der Bühne im Wasser, während sie selbst bis zur Hüfte im Wasser stehen. Dabei variieren Tempo und Intensität des Spiels, so dass dem Wasser selbst auch eine eigene „Rolle“ zukommt.
Die alltäglichen Geschichten sind eigentlich gut verständlich. Besonders auffällig ist der schöne Humor und die Verschmitztheit, die in den Szenen immer wieder „auftauchen“.
Und dieses Theater im Wasser belegt ganz eindeutig die Wichtigkeit dieses Elements. Vietnam ist ganz klar ein Land des Wassers.