Wo stehe ich eigentlich? – Der Raum und ich

Wo stehe ich eigentlich? – Der Raum und ich

Wirkungsweise von (Bühnen-)Posi­tionen

Es ist nicht egal, wo an einem bestimmten Ort man sich aufhält.

Im Gegenteil gibt es eine sehr starke Aussagekraft durch die räumliche Position, die man sich als Darsteller/-in (auch: Vortragende, Eintretende etc.) beeinflussen kann.

Ein Experiment

Stellen wir uns einen ZuschauerInnenbereich und eine Bühne vor. Auf dieser nimmt eine Person verschiedene Positionen ein, deren Wirkung beobachtet wird und zu der auch frei assoziiert werden kann.

Raumpositionen

Eine Person steht nacheinander auf allen vier Eckpunkten der Bühne (2 + 3)

Welche Wirkungsweise ergibt sich?

Mögliche Beobachtung bzw. Assoziation

Die hinteren Eckpunkte verleihen einer dort stehenden Gestalt Bedeutung, die durch die Distanz zum Publikum noch erhöht wird. Viele Raumlinien laufen auf diesen Punkt zu, was Stärke ver­leiht.

Es kann aber auch ausdrücken, dass die Figur im Zentrum von Konflikten steht.

Auf den vorderen Eckpunkten kann sich sehr Persönliches zeigen, eine dort stehende Figur ist dem Publikum sehr nah.

Eine Person geht von hinten nach vorne in einem langsa­men Tempo über die Diagonale (2 – 1 -3)

Mögliche Beobachtung bzw. Assoziation

Nach den ersten Schritten aus der hinteren Bühnenecke heraus verliert diese Position ihre Bedeutung. Es wird Aufbruch, Risiko­freudigkeit signalisiert.

Kurz vor der Mitte ist ein unsicherer Punkt erreicht: Die geschützte Position ist preisgegeben, die Bühnenmitte mit ihrem zentralen Kraftfeld, das die Fi­gur stabilisiert und trägt, ist noch nicht erreicht.

Zwischen Mitte und Bühnenrand gibt es dagegen für die Figur keinen kriti­schen Punkt mehr, da das neue Kraftfeld vorn an der Rampe so nah ist.

Auf dem Gang vom hinteren zum vorderen Bühnenrand, so kann es scheinen, findet die Verwandlung einer fremden, abstrakten Figur hin zu einer den Zuschauer/ die Zuschauerin berührenden statt, zu der ein persönlicher Kontakt aufgebaut werden kann.

Eine Person geht auf der Diagonalen von vorne nach hinten (3 – 1 – 2)

Mögliche Beobachtung bzw. Assoziation

Die Gestalt wird, da sie dem Zuschauer den Rücken kehrt, schnell schwächer in ihrer Wirkung. Geht sie rückwärts auf die hintere Bühnenecke zu, kann die Wirkung fast komisch sein.

Eine Person geht von der hinteren Bühnenmitte auf der ge­raden Linie nach vorne (4 – 1- 5)

In der Mitte gewinnt die Figur eine Ausstrahlung, die sich beim Zugehen auf die Rampe wieder verliert.

Vgl. auch: Hilliger, Dorothea, Theaterpädagogische Inszenierung. Beispiele – Reflexionen – Analysen, Milow 2006, S. 165ff.

Fazit

Dieses Experimentieren mit Positionen ergibt, dass eine traditionelle Bühne über verschieden starke und vergleichsweise schwächere Felder verfügt. Da davon auszugehen ist, dass wir uns sehr oft auf einer Art Bühne bewegen, sollten wir also immer sehr bewusst mit unseren Positionen umgehen. Weitere Konstellationen gibt es im Folgenden, zu zweit, mit anderen und in bestimmten Räumlichkeiten.

Zug um Zug: Zwei Personen im Raum

Das Neun-Punkte-Feld

Um die Wirkung von Positionen zweier Personen gegenüber herauszufinden, wird eine Fläche als Quadrat gesehen, und auf dem Boden werden die vier Eckpunkte markiert, ebenso die vier Punkte, die die Strecken zwischen den Eckpunkten halbieren sowie der Mittelpunkt. Es sind nun neun Punkte, deswegen heißt das Feld auch – Neun-Punkte-Feld. Deutlicher wird die Übung noch mit einem 16-Punkte-Feld (4×4).

Es gibt in der hinteren Reihe die Punkte “hinten links“, “hinten mitte“, “hinten rechts “. In der Mitte entsteht die Reihe “mitte links“, “mitte“ und “mitte rechts“. Die vordere Reihe besteht aus den Punkten “vorne links“, vorne mitte“ und “vorne rechts“.

Zwei Teilnehmende stellen sich diagonal auf die äußersten Punkte des Feldes. Nun geht es „Zug um Zug“: abwechselnd verändern die Teilnehmenden ihren Standort durch einen Schritt auf einen der umliegenden Punkte (nur gerade, nicht diagonal, nur einen Schritt, ein Punkt darf durch zwei Personen belegt werden), verweilen jeweils einen Moment dort und agieren nicht, sondern stehen nur dort für etwa 3 – 5 Sekunden. Das Publikum beobachtet.

Dann macht der/die andere den nächsten Schritt. Wiederum Beobachtung, ob und wie sich die Situationen zwischen den beiden Handelnden verändert hat

Welche Geschichte wird erzählt?

Stichpunkte sind: Abstand – Annäherung, vorwärts gehen – Rückzug antreten, fliehen – verfolgen, umeinander kreisen, Kampf um den Platz, (bewusst) ignorieren – aufeinander eingehen.

Positionen im Raum Dramaka

Körperrichtungen der Handelnden

Zu den Positionen, die von den Teilnehmenden eingenommen werden, gehören zudem Körperrichtungen.

Dabei unterscheidet man:

  • Frontalstellung: eine Figur wendet sich direkt dem/ der anderen zu
  • Profil- und Halbprofilstellung: eine Figur steht seitwärts oder halbseitwärts zum/zur anderen
  • Rückenstellung: eine Figur steht mit dem Rücken zum/zur anderen

Auch dies zusätzlich gibt dem Geschehen nochmals eine neue Wendung, da mit den Körperrichtungen nun auch das Verhältnis zwischen den Agierenden verdeutlicht wird.

Statusgeografie

Nicht nur wo ich selber stehe, sondern auch, wo meine Utensilien ihren Platz finden, sagt etwas über mich aus, in diesem Fall über meinen Status im Vergleich zu anderen Personen.

Zum Beispiel Büro

Wo genau steht der Schreibtisch, wo der Stuhl? Wie groß ist der Schreibtisch? Gibt es andere Sitzgelegenheiten? Wie sind sie im Zimmer verteilt?

Fast in jedem Raum gibt es Orte, die ho­hen Status markieren. Wer sich dort aufhält, hat gegenüber Personen an anderen Plätzen einen Vorteil. Schreibtische und Stühle können Distanz schaffen und Statusunterschiede begünstigen.

Statusunterschiede
© UTKA – Morgengruß trifft Dinnerflair

Alleine die räumliche Positionierung lässt oft die sozia­le Positionierung auf einen Blick erkennen.  Jemand betritt das Büro der Chefin. Bleibt sie ungerührt sitzen oder erhebt sie sich aus dem Stuhl? Geht sie dem Besucher gar entgegen und streckt ihre Hand aus?

Wer Raum besitzt, auch nur kurzfristig, verteidigt ihn instinktiv. Am Tisch lehne ich mich nach vorn oder nehme mich zurück, verteile meine Sachen auf dem Tisch, hole weit aus im Sprechen oder nehme so wenig Platz wie möglich ein. (siehe dazu auch den Beitrag „Pecking Order Animals – Statusspiele“ sowie die „Einen Raum betreten-Challenge“)

Räumliche Arrangements in Sitzungen demonstrieren ebenfalls sozialen Status und Macht. Das Kopfende an einem Tisch ist in der Regel der Ort, wo beides maximal ist.

Zum Beispiel Rückenlehne

Sogar die Höhe der Rückenlehne hebt oder senkt Status. Päpste und Könige haben Rückenlehnen von über zwei Me­tern, ein Topmanager einen hochlehnigen Lederstuhl, der Besucher bekommt einen Sitz mit niedriger Lehne.

Vgl. auch: Lehner, Johannes M., Ötsch, Walter O., Jenseits der Hierarchie. Status im beruflichen Alltag aktiv gestalten, Weinheim 2006, S. 132ff.

Papst Innozenz X.

Papst Innozenz X. (Diego Velasquez 1650, Quelle)

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