Pawlow im Sport: Von der Gewohnheit zur Sucht?

Pawlow im Sport: Von der Gewohnheit zur Sucht?

Beobachtungen im Fitness-Studio

Oft beobachte ich die Angewohnheit, dass die erste sportliche Handlung im Studio der Griff zum Smartphone ist.

Smartphone_Sucht Pawlow Dramaka

Der folgende Ablauf hat mich aber wirklich nachdenklich gemacht. Viele Griffe zum und Blicke aufs Handy erfolgen nach einer kurzen Trainingsphase, also z.B. einem Satz, und zwar vor allem an den geführten Geräten.

Kann man sich auf diese Art eine Sucht danach regelrecht antrainieren? Das hat mich interessiert.

Denn besteht die (selbst gestellte) Aufgabe beispielsweise in drei Sätzen à 15 Wiederholungen,  gibt es keine kurze Verschnaufpause zwischen den Sätzen, sondern jeweils eine längere – sagen wir – „Konzentrationspause“, um die neuen Nachrichten und Neuigkeiten zu prüfen. In dieser Zeit fällt aber die Herzfrequenz schon so deutlich ab, dass eine Höchstleistung oder zumindest ein effektives Training gar nicht mehr möglich ist.

Das Fatale finde ich gar nicht den Umgang mit dem Smartphone an sich oder die Ineffektivität des Trainings. Mir scheint vielmehr, hier wird vorsätzlich eine Gewohnheit hergestellt: Man arbeitet kurze Zeit und „belohnt“ sich dann mit einem Blick aufs Handy.

Gewohnheiten trainieren

Gewohnheiten sind eigentlich eine gute Sache. Sie erleichtern uns alltägliche Abläufe, über die wir nicht mehr nachdenken müssen. Das entlastet das Gehirn, sodass es effizienter arbeiten kann. Und wenn man sich an eine Belohnung – z.B. ein Schlüssel wird an die richtige Stelle gelegt und später dort wieder gefunden – gewöhnt hat, bleibt nur die automatisierte Handlung übrig. Kein entfernter Gedanke an Sucht.

Kaffeetasse_Kafeesucht

Oder auch der Griff zur Kaffeetasse: eine gewohnte Handlung, die ohne großen gedanklichen Aufwand geschieht. Ein Smartphone zücken und in Windeseile die richtige App öffnen: Gewohnheit.

Aber wo liegt dann der Unterschied zum Griff zur Zigarette? Oder zum „Nur noch kurz die Mails checken“?

Wenn Gewohnheiten belohnt werden

Wie die Zigarette das Nikotin liefert, verspricht das Smartphone manchen Menschen immer wieder neue spannende Informationen, d.h. ihre Handlung wird immer neu belohnt (oder enttäuscht, was nur noch mehr Gier freisetzt) – ähnlich wie der Griff in die Chipstüte vor dem Fernseher. Zum Schluss muss nur noch der Fernseher laufen, damit man Lust auf Chips bekommt. Oder man führt den ersten Satz von dreien am Sportgerät aus, und der Drang, zum Handy zu greifen, wird übermächtig.

Man könnte meinen, diese Gewohnheiten doch einfach wieder abstellen zu können, sofern sie überhand nehmen. Also wenn man die Chips zur Gewichtsabnahme weglassen oder mal wieder ein richtiges Training ohne Ablenkungen absolvieren will.

Dopamin im HirnDoch Gewohnheiten werden vom sog. limbischen System gesteuert, und das ist ein ziemlich altes und schnelles System im Kopf. Deshalb können durch dieses System auch so gut automatische Handlungen erlernt und ausgeführt werden.

Das bedeutet aber auch, dass ein starker Wille oft nicht dagegen ankommt. Besonders in stressigen Situationen übernehmen oft die schnellen, automatisierten Handlungen das Szepter, bevor wir groß drüber nachdenken können. Da hat der Wille längst versagt 1https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/darum-ist-es-so-schwer-gewohnheiten-abzulegen/.

Bei einer unerwarteten „Belohnung“ – also in unserem Fall einer Message oder einem Like – wird der Neurotransmitter Dopamin ausgeschüttet. Das fühlt sich gut an, und unwillkürlich will man mehr davon.

Und selbst wenn keine Belohnung mehr winkt (!), kann sich eine Gewohnheit schon so sehr ritualisiert haben, dass diese sogar zum Kontrollverlust führen kann (Tanja Endrass, Psychologin an der TU Dresden).

Impulskontrolle

Gefühl vs. Kontrolle

Im Rahmen meiner Präsentations- und Schauspielkurse2Siehe entsprechende Kategorien. hatte auch das Thema Authentizität einen hohen Stellenwert. Denn es ist für eine gelungene Kommunikation i.d.R. förderlich, die eigene Haltung und Befindlichkeit zu transportieren.

Grafik Authentizität Dramaka

Doch bleibt es immer wichtig, den Gesamtzusammenhang im Blick zu behalten. Und das bedeutet, die eigenen Gefühle bzw. Impulse achtsam wahrzunehmen und sie der Situation gemäß anzupassen.

Impulskontrolle meint also die bewusste und gewollte Steuerung oder sogar Unterdrückung der eigenen Gefühle und Affekte aufgrund voraussichtlicher negativer Folgen eines ungezügelten Verhaltens.

Fehlt dieser Kontrollmechanismus, gibt eine Person wahllos ungefilterte Gedanken zum Besten oder lässt aufbrausender Wut freien Lauf oder handelt sprunghaft und erratisch.

Auf unser Sportstudio bezogen bedeutet das, eine neue Nachricht, ein neuer Post, ein neues Reel irgendwo zu entdecken und sogleich zu konsumieren.

Resiliente, also widerstandsfähige Menschen sind in der Lage, ihre Impulse zu steuern, insbesondere in Situationen, in denen Sie großem Druck ausgesetzt sind. Sie arbeiten konzentriert und achtsam an Aufgaben und schaffen es, sich nicht ständig von anderen Aufgaben, Ideen oder Menschen ablenken zu lassen.

Das Marshmallow-Experiment

Marshmallow_Experiment DramakaEin bekanntes Experiment zu Impulskontrolle und Belohnungsaufschub wurde durch Walter Mischel in den USA durchgeführt.

In den Jahren 1968 bis 1974 führte er mit etwa vier Jahre alten Kindern aus der Vorschule des Stanford Campus Experimente zum Belohnungsaufschub durch.

Ihnen wurde ein begehrtes Objekt vor Augen geführt, beispielsweise ein Marshmallow. Würde das Kind warten, das vorhandene zu essen, bis der Versuchsleiter zurückkehrte, erhielte es zwei Marshmallows. Manche hielten durch, bis der Leiter wiederkam, manche nicht. Das Experiment ist als Marshmallow-Test bekannt geworden.

Mischels Test sollte die Bedeutung der Impulskontrolle und des Aufschieben-Könnens von Selbstbelohnungen für akademischen, emotionalen und sozialen Erfolg zeigen. Dies ist aber in dieser Konsequenz anzuzweifeln, denn weitere Studien zogen noch den familiären Hintergrund (finanziell, sozial, Bildungsstand) hinzu und kamen zu einem wesentlich geringeren Zusammenhang zwischen „Marshmallow“ und späterem Erfolg. Quelle.

Dennoch ist dieses Experiment in unserem Zusammenhang aufschlussreich, denn bei der Situation im Sportstudio handelt es sich genau genommen auch um eine Gruppe von Kindern, denen der Marshmallow vor der Nase steht.

Marshmallow Experiment Kinder
Junge beim Marshmallow-Test. Bild: Igniter Media

Pawlow und die vielen Wege zur Sucht

Bei meinen Beobachtungen habe ich den Eindruck gewonnen, dass sich der Mechanismus vom Griff zum Smartphone bei manchen verfestigt und verselbständigt hat.

Was zunächst ein Überbrücken der Zeit war, bis es zum nächsten Satz geht, ist jetzt ein unwiderstehliches Bedürfnis geworden – ein regelrechter Zwang. Die Belohnung ist eine neue Nachricht, weitere Info, ein blinkendes Herz oder neue Mail.

Die Belohnung durch Dopamin erfolgt dabei, siehe Pawlowscher Hund – sogar schon im Vorfeld – nämlich dann, wenn sich die Handlung ankündigt (z.B. die letzten fünf Wiederholungen). Und selbst wenn man nur daran denkt!

Der Pawlowsche Hund

Der Pawlowsche Hund ist weltberühmt. Dem Wissenschaftler Iwan P. Pawlow war es 1905 gelungen, im Gehirn eines Hundes den akustischen Reiz mit Essen zu verknüpfen, indem er stets die Glocke vor Futtergabe angeschlagen hatte:

Auf die Darbietung von Futter folgte Speichelfluss des Hundes, auf das Ertönen eines Glockentons aber nichts. Wenn aber der Glockenton wiederholt in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Anbieten von Futter erklang, reagierte der Hund schließlich auf den Ton allein mit Speichelfluss. Dieses Phänomen bezeichnete Pawlow als Konditionierung. Wikipedia

Die klassische Konditionierung

Wie beim Pawlowschen Hund verknüpft auch das menschliche Gehirn bestimmte Reize mit der Belohnung. Es reicht aus, dass abhängige Menschen ihre Droge – etwa ein Glas Wein, eine Zigarette oder einen Glückspielautomaten – sehen, damit die Belohnungskaskade im Gehirn anspringt.

Dopamin3Ein Botenstoff oder Neurotransmitter, der Signale zwischen den Nervenzellen weiterleitet und sowohl emotionale und geistige wie auch motorische Reaktionen steuert. Dopamin ist als „Botenstoff des Glücks“ bekannt. wird freigesetzt und signalisiert bevorstehende Glücksgefühle. Damit diese dann eintreffen, muss das Objekt konsumiert werden.

Alles „nur“ Gewohnheit?

Ich glaube, es hängt viel mit der mangelnden Impulskontrolle zusammen, ob eine Handlung nur eine lästige Angewohnheit ist oder die Tendenz hat, eine Abhängigkeit zu werden.

Kleine Kinder quengeln, wenn sie sich langweilen oder hungrig sind, wollen alles sofort haben – dies gilt oft auch für Erwachsene.

Ganz witzig: Um eine geringe Impulskontrolle zu verbessern, wird ausgerechnet Sport empfohlen.. Klar, kein Witz! Sport dient dem Spannungsabbau, genauso wie Ent-Spannungstechniken.

„Eine Sucht ist eine erlernte Krankheit“ (Professor Christian Lüscher, Universität Genf). D.h. man kann sie sich antrainieren.

„Ich könnte immer aufhören, ich will nur nicht.“

Sobald man diesen Spruch hört, hat der Kontrollverlust über das eigene Handeln im Grunde schon begonnen. Was hilft? Wie bei einer klassischen Sucht auch bei der Smartphone-Gier nur der Entzug.

Konkret bedeutet das herauszufinden, was genau einem der Blick auf das Smartphone gibt und für genau dieses Bedürfnis eine andere Lösung zu finden.

Das gilt aber natürlich nur, wenn die Smartphone-Sucht schon als belastend erlebt wird. Solange das nicht der Fall ist, schau ich mir einfach die ganzen Handy-SportlerInnen weiterhin staunend an.


Wo bekommt man Hilfe, wenn man süchtig ist?
Die Bundesweite Sucht & Drogen Hotline ist rund um die Uhr unter der Telefonnummer 01806 313031 zu erreichen (0,20 €/ Anruf) -> Link.

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