Hieronymus Bosch und die Alten

Hieronymus Bosch und die Alten

Es ist nicht neu, dass ich in der Altenpflege arbeite, und diese Arbeit ist für mich absolut sinnstiftend. Sie erlaubt es mir, mich dem neoliberalen Kreislauf der Zwangsoptimierung zu entziehen und trotzdem notwendige Arbeit zu leisten. Außerdem macht sie Spaß, das ist auch nicht zu unterschätzen.

Manchmal aber ist die Arbeit mit den alten Menschen nicht ganz einfach, besonders wenn diese unter schweren körperlichen Krankheiten zu leiden haben, oder eine Demenz ihnen nicht mehr erlaubt, überlegt und zielgerichtet zu handeln oder sich zu äußern.

Nicht wenige Male ist mir in diesen Momenten der niederländische Maler Hieronymus Bosch eingefallen, der im 16. Jahrhundert gewirkt hat. Viele kennen ihn durch sein Werk „Das Jüngste Gericht“. Ich ebenso.

Sehr oft musste ich Vergleiche ziehen von seinen gemalten Beschreibungen der Hölle zu den Qualen, die meine Bewohnerinnen und Bewohner zuweilen zu ertragen haben.

Aus diesem Grund möchte ich dieses Kunstwerk einmal unter diesem Gesichtspunkt betrachten.

Zu dem Zweck zitiere ich die bündige Zusammenfassung des Werkes von der Seite wissen.de, die diese Interpretation ziemlich gut unterstreicht:

Hieronymus Bosch, Das jüngste Gericht

„In welchem geistigen Klima entstand das Bild?

Als Bosch 1504 den Auftrag zu diesem Werk bekam, herrschte im Abendland eine allgemeine Hysterie. Selbst ernannte Propheten sagten das bevorstehende Weltenende voraus. Seuchen, Überschwemmungen oder Missgeburten wurden als Zeichen göttlichen Zorns gedeutet. Ein Zeitgenosse Boschs wagte gar die Prognose, dass von 30000 Menschen am Ende nicht mehr als zwei gerettet würden.

Die Mitteltafel in Boschs Flügelaltar zeigt dazu passend tatsächlich nur wenige, die von Engeln gen Himmel geführt werden. Der Rest der Menschheit scheint verloren (siehe Weltgerichtstriptychon unten).

Die Kirche sah es als Hauptaufgabe an, die Menschen auf das Jüngste Gericht vorzubereiten. In zahllosen Büchern und Predigten wurden die endlosen Qualen der Verdammten beschrieben. Boschs Darstellung vom Ende der Welt ist somit ein Dokument des Zeitgeistes um 1500.

Welche Elemente prägen Boschs höllisches Szenario?

Jüngstes Gericht Bosch DetailBoschs Vision vom letzten Tag der Menschheit und der Herrschaft des Bösen ist kleinteilig, grotesk und fantastisch. Sie ist anziehend und abstoßend zugleich.

Er malt eine Höllenfauna aus Kröten, Ottern, Nattern und Drachen. Unzählige Mischwesen, bizarr verformte Menschentiere und Maschinen quälen den Menschen auf grausame Weise.

Der Künstler bricht dabei bewusst mit traditionellen Darstellungsformen. Der Einfluss Gottes ist reduziert und das Lager der Seligen verschwunden.

Eingerahmt von einer Paradies- und einer Höllendarstellung schildert die Mitteltafel keinen dazwischen schwebenden Hoffnungszustand. Am Tag des Jüngsten Gerichts hat das Böse von der Erde bereits Besitz ergriffen. Aus der Vogelperspektive blicken wir auf eine Welt, in der nurmehr Chaos, Anarchie, Dunkel und Verwüstung herrschen. Nirgendwo finden wir Trost, die himmlische Sphäre Gottvaters ist weit entfernt.

Jüngstes Gericht Bosch Detail

Was zeigen die Innenflügel?

1) In aufgeklapptem Zustand schildert das Werk zur Linken das Leben von Adam und Eva im Paradies, deren Sündenfall und die Vertreibung. Der Garten Eden ist friedlich und leer, in der Mitte steht der Baum der Erkenntnis. Das erste Menschenpaar erfährt Gottes gerechte Strafe, und auch die abtrünnigen Engel Luzifers werden aus dem Himmel verstoßen.

Hieronymus_Bosch_-_The_Last_Judgement
Weltgerichtstriptychon in Wien: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hieronymus_Bosch_-_The_Last_Judgement.jpg

2) In dem obersten Feld des Mittelteils hält Christus Gericht. Posaunenengel blasen zum letzten Appell und Maria wie auch Johannes verfolgen schweigend das Geschehen. Die Apostel dagegen gestikulieren wild, als seien sie damit keinesfalls einverstanden. Die Sphäre des Himmlischen Gerichts ist der Erde entrückt. Gottes Gerechtigkeit kann die Welt nicht mehr erreichen, und des Teufels grausamer Vollzug ist in vollem Gange.

Jüngstes Gericht Bosch Detail

Vor dem Betrachter breitet sich eine von Bränden und Zerstörung heimgesuchte Landschaft aus. Die Welt ist nur noch ein nachtschwarzes Fegefeuer, Schauplatz von brutalen Massakern und Folterungen.

Die Menschheit wird drangsaliert von Dämonen, merkwürdigsten Kobolden und Kopffüßlern. Zwitterwesen aus Insekten, Schlangen, Reptilien, Fischen und Ratten bevölkern das Bild. Jüngstes Gericht Bosch Detail

Dazwischen blitzt blankes Metall hervor, scharfe Messer und Spieße oder mobile Foltermaschinen mit skurriler Mechanik.

Apathisch, vom Schmerz übermannt, haben sich die Menschen mit ihrem Schicksal abgefunden. Sie werden aufgespießt, gepfählt, verstümmelt oder in Obstpressen verrührt.

3) Die Darstellung der Hölle auf dem rechten Flügel ist das Schreckensbild ewiger Verdammnis. An der Pforte zur Hölle empfängt der Satan seine Beute. Riesige Ungeheuer verschlingen ihre Opfer – im Reich der Hölle geht es aber offenbar kaum schlimmer zu als auf Erden.

Jüngstes Gericht Bosch Detail

Wer war Hieronymus Bosch?

Bosch (um 1450–1516), Maler dämonischer Welten und Schreckensvisionen, wurde in ’s Hertogenbosch geboren, wo er bis zu seinem Tod arbeitete. Vermutlich leitet sich sein Name von dem niederländischen Provinzstädtchen ab. Fern der Kunstzentren entwickelte er eine eigenwillige Bilderwelt, die Fantasien und Traumbildern keine Grenzen setzte.

Seine Sittengemälde sind plakativ und verschlüsselt zugleich, gleichzeitig abstrus und satirisch. Darüber hinaus sind sie bisweilen heiter, aber auch zeitkritisch und auf eine verblüffende Weise modern.“

File:2009-02-15 München 068 Alte Pinakothek, Hieronymus Bosch - Fragment eines Jüngsten Gerichts, Detail.jpg - Wikimedia Commons

Quelle der Abbildungen: Fischer, Stefan, Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk, Köln 2018.

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