Wie soll ich das verstehen? – Arbeit mit Subtext

Wie soll ich das verstehen? – Arbeit mit Subtext

Nicht nur der gesprochene Inhalt, sondern auch die vielfältigen Nebenbedeutungen (Konnotationen) des Gesagten machen Kommunikation so gleichermaßen interessant und spannend wie missverständlich und verwirrend.

Kaum ein gesprochener Satz kommt ohne Untertöne aus; selten erlebt man in der Alltagskommunikation eine Aussage, die sich ausschließlich auf den Inhalt bezieht.

Denn meist wird dabei noch der Subtext transportiert, das heißt der gedankliche Hintergrund einer Äußerung – etwas,  was nicht direkt gesagt, aber unterschwellig gemeint ist.

Hier probieren wir den Einsatz von Subtext mal praktisch aus.

Vier Zungen – vier Ohren

Dieser Subtext kann verschiedene Ausrichtungen haben, ebenso kann aber auch der/die Angesprochene die Aussage „auf verschiedenen Ohren“ hören.

Die Ebenen (oder „Seiten“) des Sendens und Empfangens dieser Botschaften hat der Hamburger Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun in seinem bekannten „Vier-Ohren-Modell“ dargelegt.

Hier folgt ein kurzer, sehr klarer Beitrag von David Lohner aus meinem Seminar „Kommunikation und Theater“ am ZAK1Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft Karlsruhe zu den Kernaussagen Schulz von Thuns.

 

Einstiegsübung Subtext

Am einfachsten können wir die Arbeit mit Subtext mit der folgenden Übung beginnen. Hier können leichte Veränderungen an Betonung, Melodie, Lautstärke, Tempo schon eine gegenteilige Aussage ergeben.

Sie meinen es wirklich.Sie meinen es nicht wirklich.
Ich freue mich, hier zu sein!Ich freue mich, hier zu sein.

(Mit sinkendem, enttäuschten Tonfall - jemand hat Sie zu dieser Party mitgeschleppt.)
Sie ist reizend!Sie ist reizend.

(Farblose Stimmung - Sie sind nicht dieser Meinung.)
Ich würde liebend gern hingehen!Ich würde liebend gern hingehen.

(Resignierend, seufzend)
Es tut mir leid.Es tut mir leid.

(Sarkastisch, achselzuckend)
Wir müssen uns mal treffen.Wir müssen uns mal treffen.

(Leichthin, gleichgültig, mit schweifendem Blick)
Ich glaub es dir.Ich glaub es dir.

(Sarkastisch)
Das hast du gut gemacht.Das hast du gut gemacht.

(Widerstrebend)
Mir geht es gut.Mir geht es gut.

(Entschuldigend lächelnd, man soll nicht klagen. Oder verärgert, verzweifelt. Oder hilflos.)
Tu das nicht!Tu das nicht!

(Einladend, verführerisch oder unsicher)
Es war nett, Sie zu sehen.Es war nett, Sie zu sehen.

(Ohne zu lächeln - in Wirklichkeit war es sehr anstrengend. Oder gleichgültig, mit leicht gekräuselter Oberlippe: "Ich hoffe, Sie nie wieder zu sehen.")
Du siehst wundervoll aus!Du siehst wundervoll aus!

(Nachdenklich. Lassen wir das. Es klingt ohnehin nicht echt.)
Das war wunderbar.Das war wunderbar.

(Eigentlich hat es mir nicht gefallen.)
Es macht mir wirklich nichts aus.Es macht mir wirklich nichts aus.

(Was kann ich schon machen, ich werde eh immer ausgenutzt.)
Wegen so einer Lappalie rege ich mich nicht auf.Wegen so einer Lappalie rege ich mich nicht auf.

(Ich bin wütend. Oder: ich lasse es mir nicht anmerken - mit zusammen gebissenen Zähnen.)

Diese Übung findet auch im Beitrag „Die Stimme als Instrument“ zum Thema Modulation“ Verwendung.

Subtexte der „Nora“

Im Theater können Subtexte sogar ein ganzes Stück grundlegend verändern. Die Inszenierungsidee legt die Richtung der Bedeutungen fest.

Wir selbst können einmal probeweise die Richtung einer Szene aus Henrik Ibsens „Nora oder ein Puppenheim“ z. B. über die Figur der Nora anschieben.

Den längeren Monolog der Nora sowie den Zusammenhang im Stück zur Info gibt es hier.

Nora:

Nein, glücklich bin ich nie gewesen.

Subtext:

Was ist das für eine Frage! Der kapiert ja gar nichts! (verächtlich)

Dass er mich so etwas fragen muss nach all den Jahren. (enttäuscht)

Was sagst Du jetzt dazu? (herausfordernd)

Ich glaubte es, aber ich war es nie.

Subtext:

Was war ich dumm! (verächtlich sich selbst gegenüber)

Solche Dinge geschehen auch auf der Welt/ Man kann sich auch manchmal täuschen./ Denk auch mal drüber nach. (Angriff)

Stimmt. (Plötzliche Erkenntnis, Erschrecken? Resignation?)

Nur lustig.

Subtext:

Was war ich albern. (abfällig)

In der Tat! (Erkenntnis)

Nur lustig. (schöne Erinnerung)

Und du warst immer so freundlich zu mir.

Subtext:

Du hast mich von allem herausgehalten. (Vorwurf)

Das fand ich sehr nett und zuvorkommend von Dir. (Liebe)

Warum hast Du mir nicht früher von Deinen Problemen/ Deinen Gedanken erzählt? (Unverständnis)

Du hast mich so genommen, wie ich war. (Dankbarkeit)

Aber unser Heim war nichts andres als eine Spielstube.

Subtext:

Damals war es wirklich schön, als ich noch nicht wusste, was ich jetzt weiß. (Erinnerung)

Du hast mich aus allem herausgehalten. (Vorwurf)

Im Grunde bist Du selbst ein Kind geblieben. (Verachtung)

„Zu Hause, bei Papa, wurde ich wie eine kleine Puppe behandelt, hier wie eine große. Und die Kin­der wiederum waren meine Puppen. Ich war recht vergnügt, wenn du mit mir spieltest, so wie die Kinder vergnügt waren, wenn ich mit ihnen spielte.“

Das war unsere Ehe.

Subtext:

Acht Jahre vergeudet. (verbittert)

Soll das alles gewesen sein? (flehend)

Zieh auch selbst den Schlussstrich für Dich. (bestimmt)

Ich habe ihn geliebt. (traurig)

Variationen der „Antigone“

Der Subtext des gesprochenen Wortes kann sich aber nicht nur durch Intentionen (Absichten) oder Stimmungen zeigen, sondern auch durch den Charakter bzw. das Alter der Figur oder durch die äußeren Umstände.

Als Beispiel dient hier ein Auszug aus Sophokles‘ „Antigone“, in dem sie vor ihrem Onkel, dem König Kreon, ausführt, warum sie sich seinem Befehl widersetzt und ihren Bruder trotz Verbotes bestattet hat.


KREON

Du wagtest, mein Gesetz zu übertreten?

ANTIGONE

Der das verkündete, war ja nicht Zeus,

Auch Dike in der Totengötter Rat

Gab solch Gesetz den Menschen nie. So groß

Schien dein Befehl mir nicht, der sterbliche,

Dass er die ungeschriebnen Gottgebote,

Die wandellosen, konnte übertreffen.

Sie stammen nicht von heute oder gestern,

Sie leben immer, keiner weiß, seit wann.

An ihnen wollt‘ ich nicht, weil Menschenstolz

Mich schreckte, schuldig werden vor den Göttern.

Und sterben muss ich doch, das wusste ich

Auch ohne deinen Machtspruch. Sterbe ich

Vor meiner Zeit, nenn ich es noch Gewinn.

Wes Leben voller Unheil ist, wie meines,

Trägt der nicht, wenn er stirbt, Gewinn davon?

Drum schmerzt mich nicht, dass sich mein Schicksal nun

Erfüllt. Ja, hätt‘ ich meiner Mutter Sohn,

Den Toten, unbestattet liegen lassen,

Das schmerzte mich, doch dies tut mir nicht weh.


Nun geben wir der Antigone unterschiedliche Aufgaben bzw. Eigenschaften:

  • Antigone ist geistig schon im Reich der Toten, gar nicht mehr wirklich anwesend.
  • Antigone ist ein wütender, aufmüpfiger Teenager.
  • Antigone hat eine körperliche Störung, die immer wieder Aufmerksamkeit erfordert (z.B. ein hartnäckiges Jucken durch Neurodermitis)
  • oder ihr Monolog ist mit einer bestimmten Aktivität unterlegt (z.B. legt sie schon ihre Kleider nach und nach ab für die bevorstehende Hinrichtung)
  • Antigone legt weite Wege zurück während ihres Monologs (der Saal ist riesig)
  • oder sie schleppt sich mit letzter Kraft hin zu Kreons Thron.

All diese Aufgaben bewirken, dass der Text in jeweils ganz unterschiedlichen Fassungen vorgebracht wird. Dies sind eher „Sub-Handlungen“ als „Sub-Texte“, haben aber gemeinsam, dass die Figur vielschichtiger und tiefer wird.

Ein bewusstes Spiel mit einem Kugelschreiber bei einem Vortrag erfüllt übrigens z.B. einen ähnlichen Zweck (eine Handlung, die „darunter“ liegt, und das Gesagte unterstreicht).

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