Der Kongo in Antwerpen
Demnächst fahre ich als Touristin nach Antwerpen, und natürlich kommt mir da die belgische Vergangenheit als Kolonialmacht in den Sinn, über die ich dann berichten will.
Und die es in sich hat, finde ich, da sie bis heute wenig Resonanz in der belgischen Gesellschaft findet. Gleichzeitig werde ich mich im flämischen Teil des Landes aufhalten, während es ja auch noch den wallonischen/ französischsprachigen Teil und den kleinen deutschsprachigen im Osten gibt.
Mich interessiert, ob ich öffentliche Zeichen der Kolonialzeit finde und mit welcher Intention sie ausgestellt werden.
Hier zunächst ein Abriss der belgischen Kolonialherrschaft im Kongo um die vorletzte Jahrhundertwende.
Kolonialgeschichte Belgiens
König Leopold II. von Belgien war einer der schlimmsten Schlächter in der Reihe der europäischen Kolonialisierer. In den Jahren 1885 bis 1908 richtete er unendliches Leid im Kongo an, in einem Land, das er sich (wie viele der Kolonialherrscher) unter betrügerischen Umständen angeeignet hatte.
Das Beitragsbild oben zeigt diesen König, der an vielen belgischen Orten bis heute noch immer als Wohltäter, als Entdecker, als Gewinner präsentiert wird.
Doch spätestens seit den weltweiten Demonstrationen gegen Rassismus in Folge des gewaltsamen Todes von George Floyd im Jahr 2020 beginnt auch in Belgien – extrem langsam – die Aufarbeitung der eigenen kolonialen Geschichte.
Dieses Foto von der mit Farbe verschmierten Büste entstand eben 2020 bei solch einer Demonstration in Brüssel – Tervuren (Sitz des Königlichen Museums für Zentral-Afrika , welches übrigens 1910 mit den Gewinnen aus dem Kongo-Geschäft aufgebaut wurde und bis heute viele ur-kongolesische Artefakte und Kunstwerke zurückhält).
„Für viele Belgier ist Leopold II. dennoch ein Genie, das es schaffte, ihrem Land in Afrika einen Platz an der Sonne neben den großen europäischen Mächten zu sichern. Schuf er mit seinen Reichtümern aus dem Kautschukhandel nicht auch prächtige Bauwerke und Parkanlagen in der Heimat? Louis Michel, der frühere belgische Außenminister nannte den König noch 1999 einen ‚Helden», der den Kongolesen die Zivilisation schenkte.‚ (Neue Züricher Zeitung v. 11.06.2020). Mir ist nicht erklärlich, wie solch eine Haltung ungestraft herausposaunt werden darf.
Geschichte Belgien – Kongo kurz gefasst
Es gibt einen fantastischen Planet-Wissen-Beitrag von Monika Sax, der meiner Meinung nach eine hervorragende kurzgefasste Übersicht gibt über die grausame Geschichte zwischen 1885 bis 1908, deshalb möchte ich ihn hier in Auszügen zitieren:
„Die heutige Demokratische Republik Kongo war von 1885 bis 1908 das Privateigentum des belgischen Königs Leopold II. Er beutete das Land als Kolonie grausam aus.
Der Kongo als königlicher Privatbesitz
‚Der Zivilisation den einzigen Erdteil zugänglich zu machen, in den sie noch nicht vorgedrungen ist, und die Finsternis zu durchdringen, die noch ganze Völker umhüllt, dies ist ein Kreuzzug, der unseres Jahrhunderts des Fortschritts würdig ist‘, sagte König Leopold II. von Belgien im Jahr 1876. Damit rechtfertigte er die gewaltsame Kolonisierung Afrikas durch die Europäer. (…)
1884/85 fand in Berlin die Afrika-Konferenz auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck statt. Durch geschicktes Taktieren brachte Leopold II. die 14 europäischen Staaten und die dazu, den von ihm erworbenen „Unabhängigen Kongostaat“ als seinen persönlichen Privatbesitz anzuerkennen. Dies war ungewöhnlich, da Kolonien normalerweise Staaten gehörten und nicht Privatpersonen.
Damit war Leopold II. Besitzer eines Landes, das etwa 70 Mal so groß war wie Belgien.
Der Kautschukboom und das Kongo-Gräuel
Schon bald begann Leopold II. den Kongo rücksichtslos auszubeuten. Der Kongo hatte genau das zu bieten, wonach der Weltmarkt dürstete: Gummi. Im Jahr 1888 hatte John Boyd Dunlop den Luftreifen erfunden, was Kautschuk zum begehrten Gut machte.
In den tropischen Regenwäldern des Kongobeckens war dieser reichlich vorhanden. Leopold II. verpflichtete seine kongolesischen Untertanen auf grausamste Weise zur Zwangsarbeit.
Jedes Dorf musste eine bestimmte Menge Kautschuk liefern. Erfüllten die Männer die Lieferquoten nicht, wurden ihre Frauen umgebracht. Diese „Geiselhaft“ wurde von der „Force Publique“ überwacht. Einer Art Armee, die eigens gegründet wurde, um Ausbeutung und Sklaverei zu koordinieren. Sie bestand hauptsächlich aus Schwarzen – nur die Offiziere waren Weiße.
Und auch hier herrschte gnadenlose Kontrolle: Die Soldaten mussten über jede verschossene Patrone Rechenschaft ablegen. Die Besatzer wollten sichergehen, dass die teure Munition nicht zum Jagen oder sogar für einen Aufstand verwendet wurde.
Daher mussten die schwarzen Soldaten für jede verwendete Patrone die rechte Hand des Getöteten abhacken und den Offizieren vorlegen. Da die Bevölkerung bitterarm war, benutzten viele ihre Waffen dennoch zum Jagen, und viele Menschen mussten bei lebendigem Leib eine Hand opfern.
Der Kongo erwirtschaftete Jahr für Jahr größere Gewinne. Mit dem Blutgeld finanzierte Leonard II. Prachtbauten wie das heutige „Königliche Museum für Zentral-Afrika“ in der Nähe von Brüssel.
Das Ende der Schreckensherrschaft
Der britische Journalist Edmund Morel entdeckte, dass Schiffe, die in den Kongo fuhren, fast nur mit Waffen und Ketten beladen wurden. Er recherchierte und fand heraus, dass die Waffen verwendet wurden, um die Menschen im Kongo zu versklaven.
Morel war erschüttert vom Leid im Kongo und organisierte Anfang des 20. Jahrhunderts die erste Menschenrechtskampagne der Geschichte. (…) Der internationale und nationale Druck auf Leopold II. wuchs.
Als Folge trat der König den Kongo 1908 an den belgischen Staat ab (gegen richtig viel Geld!). Die Kolonie erhielt den Namen „Belgisch-Kongo“ und hieß so bis zu ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1960. (…)
Es heißt, dass während der Regentschaft von Leopold II. 10 Millionen Kongolesen ums Leben gekommen waren. Aber auch in der darauf folgenden Zeit hatten die Menschen im Kongo ein schweres Leben: Die belgische Kolonialverwaltung förderte die Gründung weißer Eliten und beutete den ressourcenreichen Staat weiter aus.
Die Vergangenheitsbewältigung
‚Aus meiner eigenen Schulzeit kenne ich Leopold II. nur als Beschützer des Christentums, großen Modernisierer und Kämpfer gegen die Sklaverei‘, erzählt Paul Pauwels, ein belgischer Filmproduzent. ‚Über den kommerziellen Hintergrund und die Grausamkeiten hat man in Belgien kaum gesprochen.‘
Die posthume Entthronung des belgischen Königs schreitet in Belgien bis heute nur langsam voran. Wichtige Denkanstöße kommen teilweise von außen.
So veröffentlichte der amerikanische Publizist Adam Hochschild im Jahr 1999 das Buch „Schatten über dem Kongo“ (ISBN: 978-3-608-94769-4). Er enttarnt darin den angeblichen „Menschenfreund“ Leopold II. und erklärt beispielsweise, dass dieser zwar arabische Sklavenhändler bekämpfte, doch nur um im Kongo seine eigene Schreckensherrschaft zu errichten.
Das „Königliche Museum für Zentral-Afrika“ bei Brüssel hat nach eigenen Aussagen inzwischen ebenfalls damit begonnen, sich mit der eigenen Geschichte kritisch auseinanderzusetzen. So wurde zum 175. Geburtstag Belgiens im Jahr 2005 gemeinsam mit kongolesischen Wissenschaftlern eine Ausstellung zur Kolonialvergangenheit erstellt. Die Ausstellung beschäftigte sich mit Handel und Verwaltung, Missionsschulen und Heimarbeit, aber immer noch wenig mit der Angst und Unterdrückung der Kongolesen unter der belgischen Herrschaft. Erschwert wird die Aufarbeitung der Vergangenheit, weil bis heute kaum Quellen und Zeugnisse der Opfer gefunden wurden.“
Quelle: Planet-Wissen-Beitrag von Monika Sax, Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 24.08.2021.
Thema Restitution – selbstverständlich
Hier habe ich auch gelernt, dass der Begriff „Restitution“ immer auch bedeutet, dass man sich die Werke ungerechtfertigterweise angeeignet hat, während man von „Rückgabe“ bei „Werken spricht, die rechtens den Eigentümer gewechselt haben“. Diesen Vorgang halte ich grundsätzlich für wenig glaubhaft.
Auch hier zeigt man sich also unwillig, die geraubten Kunstschätze zurück zu geben, teils wieder mit der unsäglichen postkolonialen Argumentation, diese würden nicht adäquat aufbewahrt werden oder in den gesellschaftspolitischen Wirren sogar verschwinden.
Belgien und der Kongo heute
Im Unterschied zu meiner Namibia-Reise bin ich nicht in das kolonisierte Land, sondern diesmal in das Land der Kolonisten gefahren. Fünf Tage in Antwerpen und Gent konnten aber nicht vermitteln, was in den Städten eventuell noch an Überresten dieser Schreckensherrschaft zu finden ist. Besser gesagt, es ist uns überhaupt keine Thematisierung aufgefallen.
Allerdings gab es eine aufschlussreiche Info-Tafel im Diamant-Museum. Hier wird auf heutige Arbeitsbedingungen sowie moderne naturschonende Abbaumethoden hingewiesen mit dem einzigen Zusatz, dass es „in der Vergangenheit nicht ganz so gute Umstände“ gab. So kann man es eben auch formulieren.
Auch das schon oben erwähnte „Königliche Museum für Zentral-Afrika“ in Brüssel hält sich in der Beurteilung der Kongo-Gräuel vornehm zurück: „Nur die Gedenkwand mit den Namen von 1508 Belgiern, die zwischen 1876 und 1908 im Kongo ums Leben kamen, musste, weil denkmalgeschützt, so belassen werden. Allerdings wird sie nun von einer Projektion mit den Namen von Kongolesen überblendet, die im selben Zeitraum zu Tode kamen. Das ist Teil der ständigen Ausstellung, die – gegenwärtigem Verständnis entsprechend – einen „neuen Blick auf die koloniale Vergangenheit“ wie die Geschichte des Landes nach der Unabhängigkeit verspricht. Wobei – was die letzten Jahrzehnte betrifft – die Verhältnisse eher mit sanften Vokabeln wie schwierig, tragisch und widersprüchlich umschrieben werden.“ Quelle
Die ersten 100 Jahre des Museums dagegen sind nur noch durch den Krokodil-Saal mit romantischen Wandgemälden von afrikanischen Landschaften, historischen Fotos, naturkundlichen Objekten und dem gläsernen Achteck mit zwei ausgestopften Krokodilen in der Mitte vertreten. Dies klingt ebenfalls nicht nach fundierter Aufbereitung.
Im Jahr 2020 entzündete sich in Belgien die Black-Lives-Matter-Bewegung an den vielen Leopold II.-Statuen, die in der Folge zahlreich mit roter Farbe überzogen wurden. Das soll sich auch in dem Titelbild zu diesem Beitrag widerspiegeln. Die taz berichtete darüber, und auch weltweit wurde die belgische Protestbewegung der schwarzen Community zur Kenntnis genommen. Einige Denkmäler wurden inzwischen abgebaut – ein erster Schritt. Auch wenn die Statuen wohl in einem Museum gezeigt werden sollen, wie die NY Times erfahren hat. Hoffentlich gelingt das.
Das schönste Bild, das ich in Antwerpen gesehen habe, war ein schwarzes Mädchen, das stolz ein T-Shirt mit dem goldenem Schriftzug des Reisepasses der Demokratischen Republik Kongo trug: