Was wir von Schauspielerinnnen und Schauspielern lernen können

Was wir von Schauspielerinnnen und Schauspielern lernen können

Die ganze Welt ist eine Bühne,
Und alle Frau’n und Männer nichts als Spieler.
Sie haben ihren Auftritt, ihren Abgang,
Und jeder spielt im Leben viele Rollen.

~ William Shakespeare, Wie es Euch gefällt, 2. Aufzug, 7. Szene

Im beruflichen Umfeld gilt es häufig, vor anderen zu präsentieren, eine Gesprächsrunde zu moderieren oder einfach nur einen guten Auftritt beim Networking oder beim morgendlichen Meeting hinzulegen.

Eigentlich stehen wir ziemlich oft auf einer Bühne. Dann nehmen wir das doch einmal ganz wörtlich:

Welche Fähigkeiten muss ein Schauspieler für seinen Beruf trainieren, und in welchem Zusammenhang stehen diese „Soft Skills“ mit den Anforderungen an Führungskräfte aus ganz anderen Bereichen?

Kurz:

Was können wir von Schauspielern lernen?

Die Arbeit des Schauspielers/ der Schauspielerin

„Dem Schauspieler wird innerhalb der Produktion eine Rolle übertragen, die er mit seinen künstlerischen Möglichkeiten Gestik, Mimik und Stimme unter Zuhilfenahme von Maske, Kostüm und Requisiten gestaltet. Für den Zuschauer stellt der Schauspieler fiktive Figuren in fiktiven Situationen und Handlungen dar.“

So beschreibt der Deutsche Bühnenverein die Tätigkeit eines Schauspielers. Um
diese Tätigkeit zu erlernen, besucht der Schauspielschüler mehrere Jahre lang eine Hochschule und schließt das Studium mit einem Diplom ab.

In der Berufsbeschreibung werden schon zwei wesentliche Punkte der Theaterarbeit genannt: Theater gibt es nur mit Publikum, und die gezeigten Figuren und Handlungen werden bewusst gestaltet. Das weckt doch gleich Vorstellungen an den letzten Small Talk oder den Fachvortrag auf der Konferenz…

In der Tat stellte der amerikanische Soziologieprofessor Erving Goffman schon 1959 die These auf, „wir alle spielen Theater“, und verglich reale Alltagssituationen mit den Gegebenheiten vor, hinter und auf einer Theaterbühne. Zwar, sagt er, ist „eine Rolle, die im Theater dargestellt wird, (ist) nicht auf irgendeine Weise wirklich und hat auch nicht die gleichen realen Konsequenzen wie die gründlich
geplante Rolle eines Hochstaplers; aber die erfolgreiche Inszenierung beider falscher Gestalten basiert auf der Anwendung realer Techniken ‐ der gleichen Techniken, mit deren Hilfe man sich im Alltagsleben in seiner realen sozialen Situation behauptet.“ (Goffman 2013:233)

Nun wollen wir ja nicht alle als Hochstapler durch die Welt gehen. Deshalb stellt sich für uns beim Einsatz von Schauspieltechniken sofort die Frage nach der Authentizität. (siehe auch den Beitrag: Authentizität – ein neuer Aspekt für einen alten Begriff). Soll ich etwa lernen, den anderen etwas vorzuspielen, ja geradezu vorzulügen, und ihnen eine völlig andere Person vorgaukeln?

Authentizität

Authentizität (von gr. authentikós „echt“; spätlat. authenticus „verbürgt, zuverlässig“) bedeutet Echtheit im Sinne von „als Original befunden“. Auf eine Person bezogen bezeichnet Authentizität die Übereinstimmung von Denken, Fühlen und Handeln. Hinzukommen muss dabei das Bewusstsein über die gegenwärtige Situation, über die Angemessenheit des Auftretens („Blick von außen“, vgl. auch den Beitrag „Authentizität – ein neuer Aspekt für einen alten Begriff).

Auch einen Schauspieler befinden wir als besonders authentisch, wenn er gerade nicht „schauspielert“, sondern uns in seine Welt mitnimmt und sein innerstes Wesen zeigt.

Diese aufrichtige Form der Theaterkunst forderte schon Konstantin S. Stanislawski, ein russischer Theaterreformer, der Ende des 19. Jht. seine Schauspieler zur unbedingten Wahrhaftigkeit aufrief und auf diesen Lektionen ein ganzes „System“ aufbaute. Schauspieler wie Robert de Niro, Jodie Foster, Dustin Hoffman lernten alle nach dieser von Lee Strasberg in den USA weiterentwickelten „The Method“.

Wie äußert sich dieser große Theatermann zur Bühnenkunst?

„Die ganze Aufmerksamkeit des Schauspielers sollte auf die „vorgeschlagenen Situationen“, die aus dem Stück selbst, aus den Anweisungen des Regisseurs und aus Ihrer eigenen schauspielerischen Phantasie stammen, gerichtet sein. Versuchen Sie ganz aufrichtig in ihnen zu leben, dann wird die Echtheit der Leidenschaften‘ ganz von selbst in Ihrem Innern entstehen. (…) Wir wollen zu verstehen versuchen, wie wir lernen können, auf der Bühne nicht schauspielerisch, sondern menschlich zu handeln ‐ einfach, natürlich, organisch; folgerichtig, frei, nicht nach den Konventionen des Theaters, sondern nach den Gesetzen der lebendigen, organischen Natur.“

(Stanislawski 2007:39ff.)

D.h. Schauspieltechniken in unserem Berufsalltag einzusetzen heißt, eben nicht gekünstelt, falsch, unecht zu agieren, sondern im Gegenteil das eigene, wirkliche Empfinden angemessen nach außen zu transportieren.

Dem Schauspieler verhilft die Gestaltung der vielen unterschiedlichen Rollen dazu, die ganzen Facetten seiner Ausdrucksmöglichkeiten zu trainieren. Für das berufliche Training allerdings genügt es schon, wenn wir lernen, die eigene Begeisterung, das umfangreiche Fachwissen und die zu vermittelnde Botschaft so an das entsprechende Publikum zu transportieren, dass sie direkt und nachhaltig
ankommen. Und dies gelingt nur mit Authentizität.

Komponenten eines wirkungsvollen Auftritts

Ein Schauspieler bewegt sich mit seinem ganzen Körper im Raum und interagiert dabei auch mit anderen. Die folgenden Elemente beschreiben nun die  unterstützenden Komponenten für diese Handlungen auf der Bühne. Gleichzeitig zeigen sich schon deutlich die Parallelen zu den Handlungen im alltäglichen Umfeld.

Individuum und Raum

Nehmen wir den umgebenden Raum einmal bewusst wahr, lassen sich darin ganz unterschiedliche Wirkungsweisen der Raumpositionen erkennen. Eine Person, die sich nacheinander auf alle vier Eckpunkte des Raumes stellt, wird vier verschiedene Wirkungen auf den Zuschauer erzeugen. Geht sie von der hinteren Mitte auf der geraden Linie nach vorne, gewinnt sie eine besondere Ausstrahlung, die sich bei weiterer Annäherung wieder etwas verliert. Eine große Wirkung hat die  Bühnenmitte, aber auch die Positionen für Auf‐ und Abgänge sollten bewusst gewählt werden (vgl. Hilliger 2006: 165ff.).

Je weniger gefüllt ein Raum ist, desto stärker können die Positionen ihre Kraft entfalten. Doch auch die räumliche Verteilung der Möbel und Gegenstände ist wichtig: Wo genau steht der Schreibtisch, wo der Stuhl? Wo ist der „Ort der Macht“? Sind mehrere Personen im Raum, entsteht ein neues Kraftgefüge, das sich wie ein Netz über den Raum legt. Allein die räumliche Positionierung lässt oft schon die soziale Positionierung erkennen (vgl. Lehner/ Ötsch 2006). Was im Theater also als inszenatorisches Handwerk gebraucht wird, zeigt sich im „echten“ Leben als ebenso zwangsläufig wie effektiv.

Haltung und Körpersprache

Die Bedeutung von Körpersprache ist schon oft beschrieben worden. Am einfachsten lässt sie sich über die beiden Grundprinzipien „offene“ und „geschlossene“ Haltung umreißen.

Die offenen Bewegungen stellen sich ein, wenn sich die Person dem Publikum bzw. dem Gegenüber öffnet, weil sie weder etwas zu verbergen noch etwas zu befürchten hat. Die Schutzfunktion von Armen oder Schultern ist nicht nötig. Ein Merkmal sind auch nach oben gewendete Handflächen, die zum einen anzeigen, dass die Person „unbewaffnet“ ist und zum anderen die zu vermittelnde Botschaft
unterstreichen. Je mehr ein Mensch von sich zeigt – ob auf der Bühne oder im „Leben“ – desto besser kann die Kommunikation gelingen.

Bei der geschlossenen Haltung geschieht das Gegenteil, der Körper zieht sich zusammen, wird klein und uneinsehbar. Der Mime Samy Molcho gibt ein Beispiel für dieses archaische Verhalten: „Wir brauchen nur einen Affen zu beobachten, der sich Futter holt. Er nimmt das Futter an die Brust und macht den Körper rund, weil der Rücken am besten dagegen schützt, dass ihm die Beute genommen wird.“ (Molcho 2001: 14f.)

Diese Merkmale von offener und geschlossener Haltung sind auch die Kennzeichen für den Status, den eine Person gegenüber anderen einnimmt. Im  Improvisationstheater (vgl. Johnstone 1997) unterscheidet man Hoch‐ und Tiefstatus, die durch Körpersprache und Auftreten den „sozialen Status“
einer Rolle darstellen. Wann immer Menschen zusammentreffen, wird körpersprachlich, durch geschlossene oder offene Haltungen, geklärt, wie die soziale Rangfolge einer Person innerhalb der Gruppe ist. Hier wird wahrhaftig nonverbal kommuniziert. -> vgl. den Beitrag „Statusspiele“.

Stimme und Sprache

Mehrabian-Kreis
vgl. Albert Mehrabian, Professor für Psychologie an der University of California (UCLA), Silent messages, Wadsworth, Belmont, California, 1971

Die „38“ in der berühmten Zahlenfolge 7 – 38 – 55 steht für die Bedeutung von Stimme und Sprache bei der Vermittlung einer Botschaft. 1967 entdeckt und in den nächsten Jahrzehnten immer wieder bestätigt, schreibt die Mehrabian‐Studie (Mehrabian 1971) neben der Körpersprache der Stimme einen hohen Einfluss auf die persönliche Wirkung zu. Dabei ist die Anpassung an Situation,
Publikum und Motivation wesentlich. Das können wir ganz leicht erkennen, wenn wir das Vorlesen einer Gute‐Nacht‐Geschichte für unsere Jüngsten mit der Motivationsrede an unsere Teamkollegen vergleichen.

Viele Berufe sind von einer gute Stimme abhängig: Führungskräfte, Lehrer/-innen, Pfarrer, Moderator/-innen u.v.m.

Schauspielerinnen und Schauspieler üben im Fach Sprecherziehung die Grundlagen von Atmung, Stimmvolumen, Resonanz. Anhand von Lauten, Worten, Sätzen und Übungstexten erproben sie in der gesamten Ausbildung und darüber hinaus täglich das technische Handwerkszeug: Artikulation, Modulation, Tempo, Pausierung, Rhythmus, Betonung. Die Stimme kann als Instrument gestimmt werden – mit Technik und Kontinuität. Das lohnt sich – mindestens zu 38%!

Improvisation

Was passiert, wenn man den Text vergisst? Wenn der andere den falschen Einsatz gibt? Wenn überhaupt alles am falschen Ort steht und nichts vorbereitet ist? Dann heißt das Zauberwort „Improvisation“:

Der Begriff „Improvisation“ kommt von lat. improvisus = unvorhergesehen, unerwartet ≙ ohne Vorbereitung und benennt das spontane und intuitiv richtige Agieren in unerwarteten Situationen.

So erscheint es paradox zu behaupten, Improvisieren ließe sich lernen, und doch machten das schon große Redner wie Winston Churchill, britischer Staatsmann und Literaturnobelpreisträger, nicht anders:

„Am meisten Vorbereitung kosten mich immer meine spontan gehaltenen, improvisierten Reden.“

Winston Churchill

Im Improvisationstheater wird dieses Können, intuitiv richtig zu reagieren, nicht nur mit der Sprache sondern mit der ganzen Person und im Raum trainiert und damit reale wie phantasierte Situationen spielerisch vorweg genommen.

Improvisationstheater ist nicht nur eine Trainingsform für professionelle Schauspieler. Das Beherrschen von Improvisationsstrukturen formt die Kreativität im Umgang mit neuen Situationen und fördert die Offenheit gegenüber Kommunikationspartnern.

Dabei besteht das Geheimnis im unbedingten Akzeptieren einer Situation. „Im Leben sind die meisten Menschen außerordentlich geschickt darin, ein Geschehen aufzuhalten. Alles, was der Improvisations‐Lehrer tun muss, ist, diese Geschicklichkeit ins Gegenteil zu vermehren, und er wird sehr talentierte
Improvisations‐Spieler bekommen. Schlechte Improvisations‐Spieler blockieren Handlung, oft sehr gekonnt. Gute Improvisations‐Spieler bringen eine Handlung in Gang.“ (Johnstone 1997: 161)

Im Small Talk beispielsweise bringt dieses Annehmen eines Gesprächsangebots die Kommunikation in Gang und führt zu einem unangestrengten Plausch, in dem sich die Gesprächspartner die Bälle mühelos zuspielen. Und unvorhergesehene Zwischenfälle lassen sich auf diese Weise ebenso souverän handhaben.

Die Erarbeitung eines Auftritts

Wir haben nun alle wichtigen Bausteine aus dem Werkzeugkoffer eines Schauspielers für einen gelungenen Auftritt kennen gelernt. Jetzt geht es an die Vorbereitung.

Wie geht ein Schauspieler/ eine Schauspielerin an die Erarbeitung einer Rolle heran?

Man folgt mehreren Stufen:

Ablauf der Rollenarbeit

  1. Inhaltliche Vorbereitung (Informationsbeschaffung und Textarbeit)
  2. Einfühlung in die Rolle
  3. Erarbeitung von Körperhaltung, Sprachduktus, Status
  4. Der „doppelte Blick“ auf die Rolle und auf sich selbst

Da wir ja keine Schauspieler sind, müssen wir diese Arbeitsweise natürlich verändern und anpassen.

Stimmt das wirklich so? Verändern wir doch einmal nur die Überschrift:

Vorbereitung eines Vortrags

  1. Inhaltliche Vorbereitung (Informationsbeschaffung und Textarbeit)
  2. Einfühlung in die Rolle
  3. Erarbeitung von Körperhaltung, Sprachduktus, Status
  4. Der „doppelte Blick“ auf die Rolle und auf sich selbst

‐ so kommen wir auf die gleichen Arbeitsschritte, die ein jeder guter Auftritt verlangt.

Hier zeigt sich, dass „Bühne“ und „Leben“ gar nicht so große Gegensätze, sondern im Gegenteil untrennbar miteinander verbunden sind. In der Konsequenz führt uns diese Erkenntnis zu dem Schluss, dass Schauspieltechniken ein kraftvolles Werkzeug in der beruflichen Weiterbildung sind für die aktive
Gestaltung starker Präsenz und Persönlichkeit.

Wie sich ein Schauspieler/ eine Schauspielerin auf eine Rolle vorbereitet, zeige ich in dem Beitrag Die Arbeit der Schauspielerin an der Rolle.

Literaturhinweise

  • Fischer‐Lichte, Erika/ Kolesch, Doris/ Warstat, Matthias (Hg.), Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart 2005
  • Goffman, Erving, Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München 132013
  • Hilliger, Dorothea, Theaterpädagogische Inszenierung. Beispiele – Reflexionen – Analysen, Milow 2006
  • Johnstone, Keith, Improvisation und Theater, Berlin 31997
  • Lehner, Johannes M., Ötsch, Walter O., Jenseits der Hierarchie. Status im beruflichen Alltag aktiv gestalten, Weinheim 2006
  • Mehrabian, Albert, Silent messages, Wadsworth, Belmont, California, 1971
  • Molcho, Samy, Alles über Körpersprache, München 2001
  • Stanislawski, Konstantin S., „Vorgeschlagene Situationen“, in: Stegemann, Bernd (Hg.), Stanislawski‐Reader. Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst und an der Rolle, Berlin 2007, S. 39‐43

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