Einen Raum betreten – Challenge!

Einen Raum betreten – Challenge!

Auftritt und Wirkung

Zuweilen stellt sich die Frage, wie wir einen Raum betreten sollten, zumal dann, wenn schon andere Teilnehmende vor Ort sind. Bin ich mir unsicher und will einen selbstbewussten Eindruck machen, verhalte ich mich sicher anders als wenn ich die geübte Hauptrednerin bin und nix ist vorbereitet. Jede Situation bedeutet eine neue Herausforderung.

Hier will ich Euch zu einer kleinen Challenge auffordern, nämlich einen Raum zu betreten, die Wirkung auszuprobieren und direkt zu erleben. Dadurch kann man bald ein Gefühl dafür entwickeln, wie der eigene Auftritt am stimmigsten wirkt – denn es ist absolut möglich, diesen je nach Situation entsprechend zu gestalten.

Bei den folgenden zwei Übungen handelt es sich um herrliche Extreme. Dies dient zum einen dazu, sehr deutlich den Effekt auf andere zu erkennen und zweitens auch zu verstehen, wie sich diese Haltungen auf das eigene Befinden auswirken.

Weiterführende Anmerkungen zur Haltung im Raum findest du übrigens auch im Beitrag „Wo stehe ich eigentlich? Der Raum und ich“.

Du betrittst den Raum im Tiefstatus

Öffne die Tür zögernd, teste, ob sie sich überhaupt öffnen lässt. Hab Angst zu stören. Meide Blickkontakt, schau eher zu Boden. Entschuldige dich eher zu oft, gern auch schon mal prophylaktisch. Mach dich klein und beeil dich, auf deinen Platz zu kommen.

Rede dann schnell und nervös, benutze viele Füllwörter und „äh’s“. Zwinkere oft. Lass dich unterbrechen.

Nimm wenig Raum ein und behalte die Hände dicht am Körper, am besten im  Gesicht oder den Haaren. Deine Haltung ist eher asymmetrisch.

Mach sofort Platz, wenn jemand kommt. Halte eher zu viel Abstand.
Antworte schnell. Kichere, lache hektisch.

Du betrittst den Raum im Hochstatus

Du öffnest die Tür entschlossen und bleibst dann erst mal stehen, um den Raum und die Personen anzuschauen. Schau eher horizontal oder nach oben.

Sieh den anderen direkt an, eher etwas länger als üblich, halte den Blick und weiche nicht aus, bis du wohlüberlegt auf etwas anderes schaust und wirf keinen zweiten Blick zurück.

Bewege dich ruhig und gemessen dahin, wohin du willst (gern durch die Mitte des Raumes), erwarte, dass andere dir Platz machen.

Du bist eher wortkarg, hältst den Kopf beim Sprechen still und nimmst dir Zeit und Raum für das, was du zu sagen hast, d.h du antwortest eher langsam. Dabei sprichst du laut und gehst natürlich davon aus, das alle hören wollen, was du sagst. Oder sprich besonders leise, sodass andere schweigen müssen, um zuzuhören.

Dein Blick ist ruhig. Nimm viel Raum ein, nutze weite Gesten. Deine Haltung ist eher symmetrisch.

Und jetzt gilt: Ausprobieren! Betritt eine Boutique, eine Kneipe, ein 5*-Hotel etc.pp. und beobachte, wie die Leute auf dich reagieren – und auch wie es dir selbst damit geht. Klar kann das auch durchaus komische Momente bekommen, wenn man im Hochstatus ein Wartezimmer betritt… Aber darum geht‘ s!

Die Arbeit mit Listen

Noch gezielter können wir uns auf einen „Auftritt“ – und nichts anderes ist das Eintreten in einen bestimmten Raum! – vorbereiten, wenn wir ihn in einer bestimmten Rolle ausüben. Das ist relaitv schnell machbar mit Techniken aus dem Improvisationstheater.

Wir nehmen uns die Listen von Keith Johnstone vor – eine dynamische, produktive und geradezu perfekte Methode, schnell in eine vertraute und doch neue Rolle zu schlüpfen –

– und in kürzester Zeit entdeckst du mit Sicherheit ein paar neue, durchaus interessante Seiten an dir!

Diese Listen sind nicht nur für den Eintritt in einen Raum gedacht, sondern können in jeder Situation, speziell für Small Talk oder Familienfeiern genutzt werden.

Johnstone selbst nennt diese Methode „Fast-Food-Stanislawski“ (Johnstone 1999) und erzählt von einer Probe, aus der heraus sich durch die Listen eine deutliche Steigerung und Klarheit in den Handlungen entwickeln konnte:

Ich bitte eine Gruppe von Schülern, eine Sterbebettszene zu im­provisieren. Der Ehemann liegt im Sterben, seine Frau pflegt ihn, und der Sohn kommt mit einer neuen Frau nach Hause. Es fängt etwa so an: Ehemann: Weine nicht, meine Liebe. Ehefrau: Oh, Liebling, Liebling … Ehemann: Nun, nun …
Die Spieler sprechen mit gedämpfter Stimme; sie sehen ernst und kummervoll drein. Der Effekt ist so falsch, dass die Zusehenden vor Lachen brüllen.

(Johnstone 1999: 395f.)

Nun erhalten seine Schülerinnen und Schüler eine „Liste“ in die Hand, anhand derer sie ihre Rolle in der Szene spielen sollen. Die Liste hat dabei immer Vorrang, das Setting dient als Rahmen.

Im Übrigen können alle solche Listen selbst erstellen. Die Zieleigenschaft benennen und alle offensichtlichen Eigenschaften dafür auflisten. Wie z.B. hier:

Übersicht der Listen (Auswahl)

 Aus: Johnstone 1999, S. 397-406

Es den Leuten leicht machenLeuten das Leben schwermachen
Lächle, sei freundlich.Widersprich ihnen.
Mach Geschenke.Übe Kontrolle über sie aus.
Frag um Rat.Kritisiere ihr Äußeres, ihre Grammatik, ihren Wortschatz usw.
Lobe Leute.Statte sie mit schlechten Eigenschaften wie Dummheit usw. aus.
Stell Leute einander vor.Gib Ratschläge.
Biete zu essen und trinken an.Dringe in ihren Raum ein.
Reagiere prompt.Beende die Sätze für sie.
Fang deine Sätze an mit »Immer machst, sagst du ...« oder »Nie machst, sagst du ...«.
Mitgefühl fordernSei unruhig, trommle mit den Fingern.
Seufze.Nimm vorweg, was sie gerade sagen wollen.
Stell ein tapferes Lächeln zur Schau.Wechsle das Thema.
Sei ungeschickt.Verbessere sie.
Hab ein Gebrechen.Lass sie arbeiten.
Sei ein Märtyrer.Schau immer wieder weg.
Hab einen gequälten Gesichtausdruck.
Jammere.Geheimnisvoll erscheinen
Erhalte schlechte Nachrichten.Sei heimlichtuerisch.
Mach Andeutungen.
Intelligent erscheinenErhalte seltsame Geschenke, Anrufe und so weiter.
Benutze lange Wörter.Sei ein Medium (sieh Dinge voraus).
Erfinde Statistiken.Lach über geheime Gedanken.
Erfinde Zitate.Du weißt Dinge über jemanden, die du eigentlich nicht wissen kannst.
Erwähne berühmte Namen.Stell unerklärliche Fragen.
Korrigiere Leute.Besitze eine Waffe.
Rede in einer Fremdsprache.Sei ungeheuer reich? Ein Leibwächter?
Pfeif Bachmelodien.Bedeutungsvolle Blicke.
Bedeutungsschwere Pausen.
Für schön gehalten werdenGeheimnisvolles Lächeln.
Lächle viel.Sei auf dem Weg ins Labor, zur NASA, zur Tierra del Fuego oder ohne ersichtlichen Grund auf dem Weg ins Gefängnis.
Hab ausdrucksvolle Augen.Fall in Trance.
Sitz elegant.Werde von unbekannten Menschen (Kräften?) kontrolliert.
Sieh in den Spiegel.Plötzliche Stimmungsumschwünge.
Überprüfe deine Erscheinung.Hab irgendeine Art von Anfall und versuch es zu verbergen.
Kritisiere das Aussehen anderer.Beweg dich wie in Trance; sieh gehetzt aus.
Sei Model.
Werde fotografiert.Sich schuldig fühlen
Lass die Namen von Berühmtheiten fallen.Entschuldige dich.
Gerate in Panik, wenn du einen Pickel entdeckst.Sag oft: »Ist es recht so? Macht es dir etwas aus? Bist du sicher?«
Fische nach Komplimenten.Beichte zum Beispiel, dass du Fahrerflucht begangen hast oder ein Tier totgetreten hast oder jemanden geschwängert hast, dass du etwas gestohlen oder dass du unfair gewesen bist.
Zeig dich von deiner besten Seite.Gib überlange Erklärungen ab für alles, was du tust.
Trainiere regelmäßig.Vergiss, den Kühlschrank, das Tor und so weiter zuzumachen.
Sei lasziv und sinnlich.Hilf Menschen mehr als nötig.
Hasse Schlaffheit und Falten.Du hast ein Geheimnis weitererzählt, das du für dich behalten solltest (oder du deckst es auf).
Einer deiner Züge ist hässlich.Tu alles für andere Leute. Arbeite für sie.

Und wieder gilt: Einfach testen, auch gern zuerst mit Leuten, die man kennt und die mitmachen, später auch „draußen im Feld“.

Quellen

  • Johnstone, Keith, Improvisation und Theater, Berlin 31997
  • Johnstone, Keith, Theaterspiele, Berlin 21999

Tipp

Wer noch weitere Anregungen wünscht, kann gern mal bei Kevin Parry reinschauen (auch das Titelfoto), der 50 Wege vorführt, einen Raum zu betreten. Sehr gut gemacht.

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